Barcelona - Bayern: Sicht der Reporter

Stärken
Graham Hunter: Gerard Piqué hat gegenüber UFEA.com erklärt, er habe noch nie ein Sturmtrio mit solch technischen Fertigkeiten gesehen, das sich gleichzeitig auch noch blendend auf dem Platz versteht. Neymar und Luis Suárez hatten beide in dieser Saison bereits ihre großen Momente, aber Lionel Messi ist und bleibt der Strippenzieher. Davon konnte sich selbst Josep Guardiola vor einigen Wochen überzeugen, als er anlässlich von Barças Partie gegen Manchester City FC auf der Tribüne zu Gast war und mächtig ins Staunen geriet.

Philip Röber: Sportvorstand Matthias Sammer hat in den letzten Tagen immer wieder den Zusammenhalt der Mannschaft in den Vordergrund gestellt und ausdrücklich gelobt. Aufgrund von vielen gezwungenen Umstellungen hat Guardiola in den letzten Monaten weitaus mehr rotiert, als ihm lieb war, doch irgendwie fand man immer Mittel und Wege - meistens auch mit erfolgreichem Ausgang. Die neuerlichen Ausfälle sind schwerwiegend, aber mit einem großen Ziel vor Augen ist das Team samt Betreuerstab in der Lage, eng zusammenzurücken und kreative Problemlösungen zu finden.

Schwächen
Graham Hunter: Zu den besten Zeiten unter Guardiola war Barcelona in der Lage, den Gegner nach Belieben zu dominieren und Kantersiege herauszuschießen. Die aktuelle Mannschaft spielt sich regelmäßig gute Chancen heraus, lässt aber auch immer wieder beste Gelegenheiten liegen. Hinsichtlich der individuellen Qualität gibt es wahrscheinlich auf der Welt keine bessere Mannschaft als Barcelona, aber im Vergleich Mann gegen Mann haben die Katalanen körperliche Defizite im Vergleich zu Bayern.

Philip Röber: Weil neben Arjen Robben auch Robert Lewandowski fehlt, hat der FC Bayern natürlich ein echtes Problem in der Offensive. Die Schützen von 19 (Robben) und 23 (Lewandowski) Pflichtspieltreffern kann auch ein Kader des Kaliber vom FC Bayern im Halbfinale der Königsklasse nicht ohne Substanzverlust ersetzen. Zudem muss man davon ausgehen, dass Barcelona auch Bayerns teilweise riskante Raumaufteilung in der Abwehr zu seinen Gunsten bespielen wird.

Formkurve
Graham Hunter: Wettbewerbsübergreifend hat Barcelona schon 21 Auswärtsspiele in dieser Saison gewonnen. Zum Teil liegt dies an den stets torhungrigen Messi, Suárez und Neymar, doch dabei vergisst man leicht, dass die Katalanen auch nur wenige Gegentore kassieren. Die Elf von Luis Enrique hat sich im Laufe der letzten Wochen enorm gesteigert, was das Pressing und die Intensität anbelangt. Man muss sich nur das 8:0 gegen Córdoba CF am Samstag anschauen.

Philip Röber: Nach den Verletzungssorgen bereitet dem frisch gebackenen Deutschen Meister auch der Faktor Müdigkeit Probleme - natürlich haben sich beide Dinge auch negativ aufeinander ausgewirkt. Klingt bedrohlich - aber die Bayern konnten dies im Viertelfinalrückspiel gegen den FC Porto in beeindruckender Manier ausblenden, erfüllten in der Bundesliga ihre Pflicht und spielten Dortmund im Halbfinale des DFB-Pokals 70 Minuten lang an die Wand. Dann wurde jedoch abermals deutlich, dass die Bayern im Frühjahr 2015 - anders als noch in der Hinrunde - nicht unverwundbar sind.

Europapokalerfahrung
Graham Hunter: Barcelona hat - auf das letzte Jahrzehnt bezogen - die besten Leistungen in der UEFA Champions League erbracht. Mit drei Finalsiegen, inklusive der vermutlich beeindruckendsten Leistung in einem Endspiel beim Sieg gegen Manchester United FC im Wembley 2011, verfügt das Team über Erfahrung und Siegermentalität. Als man letzte Saison das Halbfinale verpasste, herrschte in Barcelona eine Art Schockstarre - dies ist ein Beleg für die hohe Erwartungshaltung an das Team.

Philip Röber: Diese Truppe lechzt nach großen Spielen. Im Kader finden sich mehrere Akteure, die in fünf der letzten sechs Jahre das Halbfinale der UEFA Champions League erreichten - muss man da noch mehr sagen?

Tipp
Graham Hunter: Bayern geht als Favorit in das Duell, da man das Rückspiel im eigenen Stadion bestreiten kann und Guardiola über ein fundamentales Wissen verfügt, was die Stärken und Schwächen seiner ehemaligen Mannschaft betrifft. Allerdings kann sich Barcelona als Außenseiter durchsetzen, wenn man sein ganzes Potenzial an den Tag legt. 

Philip Röber: Laut Matthias Sammer stehen die Chancen 50:50, wer will da schon widersprechen? Ich tue es einfach mal: Wären alle Spieler auf beiden Seiten fit, würde ich die Bayern sogar im Vorteil sehen, aber während Barcelona wahrscheinlich die beste Elf aufs Feld schicken kann, muss Guardiola doch enorme Abstriche machen. Zieht man dann noch Formtrend und Momentum in die Erwägung mit ein, bin ich satte 20 Prozent von Sammer entfernt und behaupte: 60:40 zugunsten von Barcelona.

Wer macht den Unterschied?
Graham Hunter: Andrés Iniesta hat für seine Verhältnisse eine mäßige Saison gespielt. Er musste sich auch umstellen, da der Ball in dieser Saison nicht mehr so lange im Mittelfeld gehalten wird, doch in den vergangenen Wochen - insbesondere gegen Manchester City und Paris Saint-Germain – zeigte der 30-Jährige wieder ansprechende Leistungen.

Philip Röber: Hoffnungsträger ist ganz klar Thiago Alcántara, der seit seinem Comeback die inspirierenden Momente liefert. Spannend wird sein, wie er mit der Atmosphäre im Camp Nou umgeht. Das Spiel an seiner ehemaligen Wirkungsstätte wird mit Sicherheit der emotionalste Moment seiner Karriere - wenn ihn dies mehr antreibt als hemmt, wird er Bayerns wichtigste Waffe sein. 

Mögliche Startelf
Barcelona: Ter Stegen - Alves, Piqué, Mascherano, Alba - Rakitić, Busquets, Iniesta - Messi, Suárez, Neymar

Bayern: Neuer - Rafinha, Boateng, Benatia, Bernat - Lahm, Alonso, Schweinsteiger - Müller, Thiago Alcántara - Götze

Bei ihrer Rückkehr ins Camp Nou im Mittelpunkt des Interesses: Pep Guardiola und Thiago Alcántara©AFP/Getty Images