Olenas Geschichte: Wie Fußball Flüchtlingen beim Aufbau eines neuen Lebens hilft
Donnerstag, 16. Oktober 2025
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Im Vorfeld des Unity EURO Cup 2025 in den Niederlanden erklärte die Ukrainerin Olena Tschesanowska, wie die spanische Flüchtlingsauswahl für sie selbst und die anderen im Team, die in Spanien eine neue Heimat gefunden haben, eine „Insel der Hoffnung“ bedeutet.
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Als Olena Tschesanowska im Februar 2022 mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern die von Explosionen erschütterte Hauptstadt Kiew verließ, hätte sie sich nicht vorstellen können, dass der Fußball ihr beim Neuanfang in Spanien helfen würde.
Sie hatte erst mit über 30 Jahren angefangen, Fußball zu spielen, und drei Jahre nach ihrer Flucht aus der Ukraine betrachtet Olena ihre Entscheidung, mit der vom Spanischen Fußballverband (RFEF) gegründeten Flüchtlingsauswahl zu trainieren, als Wendepunkt für ihre Integration in die Gesellschaft. „Ich habe Menschen getroffen, die eigentlich ganz anders waren als ich, aber mir trotzdem ähnelten. Wir waren alle ein bisschen verloren, hatten Heimweh und schlugen uns mit traurigen Erinnerungen herum. Deshalb haben wir uns so gut verstanden. Dieses Team ist meine Insel der Hoffnung geworden. Es spielte keine Rolle, woher man kam – was zählte, war das gemeinsame Spiel mit dem Ball,“ erklärt die heute 44-jährige Olena.
„Dieses Team ist meine Insel der Hoffnung geworden. Es spielte keine Rolle, woher man kam – was zählte, war das gemeinsame Spiel mit dem Ball.“
„Fußball nimmt einen sehr großen Platz in der spanischen Kultur ein. Durch den Fußball hatte ich das Gefühl, dazu zu gehören. Obwohl unser Team größtenteils aus Jungs aus Afrika und Asien bestand, teilten wir mit den Spanierinnen und Spanier dieselbe Leidenschaft.“
Im spanischen Flüchtlingsteam kommen Spielerinnen und Spieler aus über zehn Ländern zusammen und sind mehr als nur eine Gruppe von Fußballerinnen und Fußballern. Sie machen aus dem Team ein Instrument des Zusammenhalts und der Hoffnung – auf und neben dem Platz. Olena erinnert sich gerne daran zurück, dass sie dank der Unterstützung der RFEF das spanische Fußballmuseum und die offenen Trainingseinheiten der Nationalmannschaft besuchen konnte. „Was ich aber nie vergessen werde, ist die Einladung zum Freundschaftsspiel zwischen Spanien und Brasilien im Santiago Bernabéu. Es war einfach unbeschreiblich.“
Olena war sehr beeindruckt von der Unterstützung der RFEF. Dazu gehörten der Zugang zu Trainingseinrichtungen und die Arbeit mit dem erfahrenen Trainer Jesús Paredes, der früher mit Luis Aragonés zusammengearbeitet hat, und seinem Sohn Rodrigo. „Hier habe ich sowohl bei den Flüchtlingen als auch bei den Einheimischen Gleichgesinnte gefunden.“
Offensichtliches Ziel
Nachdem sie beschlossen hatten, die Ukraine zu verlassen, war Spanien ein naheliegendes Ziel für ihre Familie. Ihr Mann ist Kubaner. Olena und die Kinder sprachen daher bereits etwas Spanisch. Sie überquerten zu Fuß die Grenze nach Rumänien und reisten dann mit Bus und Bahn über Bukarest nach Budapest. Alle Flüge waren ausgebucht, aber sie hatten Glück und ein Mann, der nach Barcelona fuhr, nahm sie mit.
Die nachfolgenden Monate waren extrem schwer: Barcelona, Madrid, dann Cuenca – Unterkünfte des Roten Kreuzes, Flüchtlingshotels, Unsicherheit und Verzweiflung. Schließlich zog die Familie in eine Wohnung in das 35 km von Madrid entfernt gelegene Alcalá de Henares, wo die Kinder in die Schule gehen konnten und Olena ihre Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin für klinische Studien in der spanischen Niederlassung ihres alten Arbeitgebers wieder aufnehmen konnte. Aber die emotionale Belastung der Flucht blieb bestehen und erschwerte eine echte Integration in ihrem neuen Umfeld.
Geteiltes Leid
„Die Menschen in Spanien sind nett und gastfreundlich, aber sie konnten unser Leid nicht ganz verstehen. Deshalb hatten wir mehr Kontakt mit anderen Ukrainerinnen und Ukrainern“, so Olena.
Als Olena und ihr Mann vor dreieinhalb Jahren mitten in der Nacht vom Lärm entfernter Explosionen aufwachten, glaubten sie zunächst an ein Feuerwerk. „Wir haben schnell gemerkt, dass es etwas völlig anderes war“, sagt sie und erinnert sich an die lebensverändernden Momente, mit denen viele Flüchtlinge konfrontiert sind, die sie aber kaum voraussehen, geschweige denn sich darauf vorbereiten können. Es war wie ein Schock und es herrschte völlige Fassungslosigkeit. Wir hatten keine Vorräte. Es war beängstigend. Wir konnten nicht sofort aufbrechen – wir hatten kein Auto und auf den Straßen herrschte Chaos.“
„Es war wie ein Schock und es herrschte völlige Fassungslosigkeit. Wir hatten keine Vorräte. Es war beängstigend. Wir konnten nicht sofort aufbrechen – wir hatten kein Auto und auf den Straßen herrschte Chaos.“
Zusammen mit ihren beiden kleinen Kindern gelang es dem Paar, auf einer der letzten offenen Straßen nur mit ihren Papieren und kleinen Rucksäcken aus Kiew zu fliehen. Nachdem sie in der Kleinstadt Kamjanez-Podilskyj im Westen des Landes bei Olenas Eltern Zuflucht gefunden hatten, beschlossen sie, die Ukraine zu verlassen, um in Spanien ein neues Leben anzufangen.
Offenbarung
Olena hat sich verschiedentlich um Integration bemüht und an Flamenco-Kursen teilgenommen sowie Padel, eine in der Ukraine kaum bekannte, aber in Spanien sehr beliebte Sportart, ausprobiert. Eines Tages sah sie eine kleine Anzeige in der Online-Chatgruppe des Flüchtlingszentrums, in der ein Fußballtraining für Mädchen ab 15 Jahren angeboten wurde. Sie zögerte zuerst. „Ich war 41 Jahre alt und hatte noch nie auf professioneller Ebene trainiert. Ich hatte erst mit 33 Jahren angefangen, mit Kolleginnen und Kollegen aus meinem alten Job in Kiew zu spielen. Später haben wir sogar ein Frauenteam auf die Beine gestellt“, sagt sie mit einem Lächeln. Sie beschließt trotzdem, es auszuprobieren.
Das erste Training mit dem spanischen Flüchtlingsteam war eine Offenbarung. Schon bald trainierte sie regelmäßig und nahm dafür jeden Samstagmorgen eine zweistündige Fahrt zum nationalen Trainingszentrum in Las Rozas auf sich. „Mittlerweile trainieren wir in Madrid, aber es ist immer noch über eine Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Aber ich bin nicht die Einzige. Manche kommen aus dem 70 km entfernten Toledo oder direkt nach einer Nachtschicht. Für uns alle ist jede Trainingseinheit einfach pure Freude.“
Ihre neue Leidenschaft überraschte zunächst sogar ihren Ehemann. „Er fragte mich: ,Du willst mit Männern spielen?‘ Jetzt gehört er zu meinen größten Fans“, sagt sie mit einem Lächeln. „Vor allem mit jungen Männern zu spielen, ist nicht leicht – manchmal bin ich die einzige Frau beim Training. Aber ich weiß, dass ich andere inspirieren kann. Unlängst kam eine junge Frau aus Afghanistan zu uns. Ihr Mann war zunächst skeptisch und wollte sie nicht mitmachen lassen, aber als er sah, wie normal und bestärkend es war, änderte er seine Meinung.“
Olenas Tochter Anhelina eifert ihrer Mutter nach und spielt ebenfalls Fußball. „Eines Tages sagte sie: ,Mama, du spielst – kann ich nicht auch spielen?‘ Natürlich kann sie das!“ Im Alter von zehn Jahren war Anhelina Torhüterin in ihrem lokalen Kinderteam, bevor sie aufhören musste, weil sie am Samstag in die ukrainische Schule ging und dies mit den Spielplänen kollidierte. Auch Olenas 14-jähriger Sohn Roman ließ sich von der Begeisterung seiner Mutter anstecken. In Kiew hatte er begonnen, Fußball zu spielen, es aber rasch wieder aufgegeben. Jetzt kickt er mit seinen spanischen Freunden.
Dritter Unity EURO Cup
Derzeit bereitet sich Olena auf ihre dritte Teilnahme beim Unity EURO Cup vor. Für sie fühlt sich das Event wie eine Europameisterschaft für Flüchtlinge an. Seit ihrer Flucht aus der Ukraine hat ihr dieses Turnier einige ihrer schönsten Erinnerungen bereitet.
„Es war unglaublich emotional, Ukrainerinnen und Ukrainer aus anderen Teams zu treffen. Ich ließ mir immer blaue und gelbe Bänder in meine Zöpfe flechten, so dass alle wussten, wo ich herkomme.“
„Die erste Ausgabe in Frankfurt war unglaublich – es war ein solches Privileg. Es war unglaublich emotional, Ukrainerinnen und Ukrainer aus anderen Teams zu treffen. Ich ließ mir immer blaue und gelbe Bänder in meine Zöpfe flechten, so dass alle wussten, wo ich herkomme. Die zweite Ausgabe in Nyon war völlig surreal, wie in einem Traum. Ich weiß noch, wie ich dachte : ,Wow, ist das jetzt echt die UEFA? Hier sind die legendären Pokale zu Hause und hier kommen so viele Stars hin – und jetzt sind auch wir hier.‘ Unglaublich!“
Dann fingen Olena und ihr Team an, die Tage bis zur nächsten Ausgabe in den Niederlanden zu zählen. Aber egal, wie das Turnier für Olena endet, nach dem Abpfiff kehrt sie nach Madrid zurück – zu ihrer Familie, zu ihrer Arbeit und zu ihrem Team. Gemeinsam werden sie den Fußball weiterhin dafür nutzen, Brücken in der Gesellschaft zu bauen.
Der Unity EURO Cup
Der Unity EURO Cup ist mehr als nur ein Fußballturnier – bei der Veranstaltung geht es um die Kraft des Fußballs, Menschen unabhängig von ihrer Herkunft zusammenzubringen.
Bei der von der UEFA in Zusammenarbeit mit ihrem Partner, dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) organisierten Veranstaltung treten Teams bestehend aus Flüchtlingen sowie Spielerinnen und Spielern aus ihren aufnehmenden Gemeinden bei einem gemischtgeschlechtlichen Turnier gegeneinander an, bei dem die wichtige Rolle des Fußballs bei der Förderung von gesellschaftlicher Inklusion im Mittelpunkt steht.
Nähere Informationen finden sich hier.