Anoushs Geschichte: Wie Fußball Flüchtlingen beim Aufbau eines neuen Lebens hilft
Mittwoch, 15. Oktober 2025
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Im Rahmen des Unity EURO Cup 2025 berichtet Anoush Dastgir von seinem Weg, der ihn aus Afghanistan über Flüchtlingslager in Pakistan und Indien bis in die Niederlande geführt hat, wo er mittlerweile als Trainer der niederländischen U18-Nationalmannschaft arbeitet.
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Mein Vater kämpfte gegen die sowjetische Besatzung, nachdem die Armee in Afghanistan einmarschiert war. Nach dem Rückzug der sowjetischen Streitkräfte 1989 brach der Bürgerkrieg aus. Es war dort nicht mehr sicher und meine Familie ist nach Pakistan geflohen. Dort lebten wir in einem Flüchtlingslager in Peshawar. Dann ging es nach Indien, bevor wir nach Pakistan zurückkehrten.
Mein Vater kam als erster in die Niederlande. Später folgten meine Mutter, meine Schwester, meine zwei Brüder und ich. Es war eine völlig neue Umgebung. Eine neue Sprache, neue Leute und es war sehr kalt! Ich war im Sommer an Temperaturen von über 40 Grad gewöhnt. Das niederländische Klima war für mich ein Schock. Natürlich war es hart. Wir hatten bereits alles zurückgelassen, als wir aus Afghanistan geflohen sind. Jetzt mussten wir wieder völlig neu anfangen.
„Man sollte immer versuchen, Kontakt zur Gesellschaft aufzunehmen und offen zu bleiben. Es ist wichtig, sich gegenseitig zu verstehen.“
Fußball entdecken
Als Kind habe ich kein Fußball gespielt. In Pakistan und in Indien dreht sich alles um Cricket. Wir waren auch ständig am Klettern, Springen und Laufen oder haben zum Beispiel auch Basketball gespielt. Erst in den Niederlanden habe ich zum ersten Mal fußballspielende Kinder auf der Straße gesehen. Als Kind möchte man einfach nur dazugehören, vor allem wenn man wie ich entwurzelt wurde. Also habe ich einfach mitgemacht. Anfangs war ich nicht besonders gut, aber ich habe stundenlang trainiert. Ich habe gelernt, dass andere Kinder dich in ihrer Mannschaft haben wollen, wenn du gut bist. Ich habe auch gelernt, für mich selbst einzustehen und meine Meinung zu äußern.
Anoushs ganze Geschichte wurde auch als Buch veröffentlicht: „Hoe de Nederlandse Anoush Dastgir als jongste bondscoach ter wereld Afghanistan wist te herenigen (Wie es dem Niederländer Anoush Dastgir gelang, als jüngster Nationaltrainer der Welt Afghanistan zu einen) (ISBN 9789400409286, nur auf Niederländisch).
„Fußball war der Grund dafür, dass ich mich schnell anpassen und wie zu Hause fühlen konnte.“
Das Tolle am Fußball ist, dass man nur einen Ball braucht. Man muss nicht einmal dieselbe Sprache sprechen. Die Regeln sind ganz einfach. Fußball war der Grund dafür, dass ich mich schnell anpassen und wie zu Hause fühlen konnte. Bis heute sind meine besten Freunde die armenischen Jungs, mit denen ich gespielt habe, zuerst im Asylzentrum und dann im lokalen Verein. Später habe ich auch holländische Freunde gefunden.
Ein erster Vorgeschmack auf das Fieber, das Oranje auslöst
Als ich älter wurde, waren meine Vorbilder Edgar Davids und Nigel de Jong. Bei der EURO 2000 habe ich zum ersten Mal Fußball im Fernsehen gesehen, da ist mir Edgar aufgefallen. Das ganze Dorf war in Orange geschmückt – so etwas hatte ich noch nie gesehen. Damals habe ich mein erstes orangefarbenes Trikot gekauft und angefangen, mich in Holland wirklich zu Hause zu fühlen. Nigel hat mich übrigens für meine Rolle als U18-Trainer interviewt. Nach dem Gespräch habe ich ihm gesagt, wie sehr ich ihn bewundere.
Emotionale Rückkehr nach Afghanistan
Als Spieler bin ich nach Afghanistan zurückgekehrt und habe bei der Ankunft am Flughafen geweint. Es war, als ob alles – Gerüche, Farben, Geräusche, Menschen – immer ein Teil von mir geblieben sind. Es geht nicht darum, dass ich mich in den Niederlanden nicht zu Hause fühle, aber in Afghanistan bin ich geboren.
„Es macht mich immer sehr traurig, wenn jemand sagt: Pass dich an oder geh zurück! Wir versuchen, uns anzupassen, aber es ist nicht leicht.“
Für alle Flüchtlinge, die sich irgendwo ein besseres Leben aufbauen wollen, bleibt ihr Herkunftsland immer Teil ihres Unterbewusstseins. Es macht mich immer sehr traurig, wenn jemand sagt: Pass dich an oder geh zurück! Sie haben keine Ahnung, weil sie das noch nie erlebt haben. Wir versuchen, uns immer wieder aufs Neue anzupassen, aber es ist nicht leicht.
Neue Wege beschreiten
Zu der Zeit, als mein Vater nach Afghanistan zurückkehrte, wurde mir bewusst, dass ich kein schlechter Trainer sein würde. Mit 14 musste ich zu Hause Verantwortung übernehmen. Ich hatte immer für meinen Vater übersetzt, also war ich es gewohnt, Dinge zu organisieren.
An meinem 20. Geburtstag bekam ich zum ersten Mal die Gelegenheit, eine Mannschaft zu trainieren. Der Trainer der U17-Amateurauswahl von NEC Nijmegen hatte keine Zeit, also habe ich übernommen. Es lief wirklich gut. Sechs Monate später habe ich mich schwer verletzt und es wurde mir klar, dass ich kein Profispieler werden würde. Der Klub hat mir geholfen, mich als Trainer weiterzuentwickeln. Ich habe alle UEFA-Diplome erworben. Ich habe das U19-Team von NEC Nijmegen trainiert und war dann Trainerassistent des ersten Amateurteams.
Jüngster Nationaltrainer der Welt
Dann habe ich vier Jahre lang die afghanische Nationalmannschaft betreut. Damals war ich mit 28 Jahren der jüngste Nationaltrainer der Welt. Es hat mir wirklich Spaß gemacht, war aber eine enorme Herausforderung. In meinem ersten Jahr brach die Covid-Pandemie aus. Im zweiten Jahr kehrten die Taliban an die Macht zurück. Und in meinem vierten Jahr hörten alle Sponsoren auf, uns zu unterstützen. Ich sage immer, dass ich meine Trainerqualifikationen in den Niederlanden erworben habe, aber ich habe erst in Afghanistan wirklich gelernt, als Trainer zu arbeiten. So etwas lernt man nicht im Klassenzimmer.
„Wir sind zu einem Symbol der Hoffnung für das Land geworden.“
Viele unserer Spieler kamen aus Asylzentren in den Niederlanden, Deutschland, Amerika und Australien. Ich wollte Männer verschiedenster Abstammung und aus allen Teilen des Landes im Team haben. Wir sind zu einem Symbol der Hoffnung für das Land geworden. Ich habe ihnen immer gesagt, dass wir es selber schaffen müssen. Die Grundlagen muss man selbst legen.
Wir wurden in Afghanistan und bei Afghaninnen und Afghanen überall auf der Welt unglaublich beliebt. In meinem Land haben die Menschen wenig zu feiern. Bei Heimspielen, die im Iran ausgetragen wurden, kamen 50 000 Afghanen ins Stadion. In Tadschikistan waren es 20 000.
Für sich einstehen
„Ich hoffe, ich kann Menschen, die Ähnliches erlebt haben wie ich, inspirieren.“
Als Trainer der niederländischen U18-Nationalmannschaft hoffe ich, dass Menschen, die Ähnliches erlebt haben wie ich, inspirieren zu können. Erstens möchte ich Flüchtlinge ermutigen, ihre Stimme zu erheben und sich ihren Problemen zu stellen. Sie sollten sich nicht schämen, für sich einzustehen. Denn so ging es mir am Anfang. Ich habe mich geschämt, dass ich aus Afghanistan stamme, dass ich die Sprache nicht verstand und dass ich anders war. Das führt dazu, dass man den Kontakt mit anderen vermeidet, was die Situation aber nur schlimmer macht.
Wir sind keine Opfer
Zweitens würde ich sagen, dass man sich nicht als Opfer sehen sollte. Ich hatte eine schwierige familiäre Situation. Ich bin ein Kriegskind. Aber ich bin kein Opfer. Man sollte immer versuchen, Kontakt zur Gesellschaft aufzunehmen und offen zu bleiben. Man sollte sich darauf vorbereiten, weiterzukommen. Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig verstehen. Man sollte keine Distanz schaffen oder feste Positionen vertreten. Man sollte über die Dinge reden – das ist der beste Weg, eine Lösung zu finden. Natürlich kann man die Dinge nicht von heute auf Morgen ändern. Man sollte Geduld haben. Es lohnt sich.
„Wir wollen einen Beitrag leisten und Teil von etwas sein.“
Ich möchte in den Niederlanden zur Entwicklung des Landes beitragen. In meinem Fall durch den Fußball. Bei jemand anderem geht es vielleicht darum, Infrastruktur zu entwickeln, im medizinischen Bereich tätig zu werden oder um etwas ganz anderes zu tun. Oft hört man die Menschen sagen, Flüchtlinge nehmen einfach nur. Wohnungen. Jobs. Doch das stimmt nicht. Wir wollen einen Beitrag leisten und Teil von etwas sein.
Ein Turnier zur Förderung von Integration
„Ich mag dieses Turnier, weil hier Einheimische zusammen mit Flüchtlingen im selben Team spielen.“
Ich freue mich auf den Unity EURO Cup. Ich mag dieses Turnier, weil hier Einheimische zusammen mit Flüchtlingen im selben Team spielen. Es ist ein perfektes Beispiel für gelebte Integration. Es ist viel besser, als Veranstaltungen nur für Flüchtlinge zu organisieren, weil sie dann keinen Kontakt zu ihrem Umfeld herstellen können.
„Cruijff Courts“ in ganz Afghanistan
Ich bin so dankbar in den Niederlanden zu leben und die Chance bekommen zu haben, mir ein neues Leben aufzubauen. Ich möchte dem Land etwas zurückgeben. Meine Rolle als U18-Coach ist dafür eine wunderbare Gelegenheit. Aber ich möchte auch in Afghanistan helfen. Mein Traum ist es, in jeder Provinz des Landes einen Cruyff Court zu bauen, damit Kinder verschiedener Abstammung zusammen spielen und ihre Sorgen für eine Weile vergessen können. Sie sollen für einen Augenblick die Möglichkeit haben, einfach Kinder zu sein. Das ist die Kraft des Fußballs: Wenn man auf dem Platz steht, denkt man an nichts anderes.
Der Unity EURO Cup
Der Unity EURO Cup ist mehr als nur ein Fußballturnier – bei der Veranstaltung geht es um die Kraft des Fußballs, Menschen unabhängig von ihrer Herkunft zusammenzubringen.
Bei der von der UEFA in Zusammenarbeit mit ihrem Partner, dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) organisierten Veranstaltung treten Teams bestehend aus Flüchtlingen sowie Spielerinnen und Spielern aus ihren aufnehmenden Gemeinden bei einem gemischtgeschlechtlichen Turnier gegeneinander an, bei dem die wichtige Rolle des Fußballs bei der Förderung von gesellschaftlicher Inklusion im Mittelpunkt steht.
Nähere Informationen finden sich hier.
Anoushs ganze Geschichte wurde auch als Buch veröffentlicht: „Hoe de Nederlandse Anoush Dastgir als jongste bondscoach ter wereld Afghanistan wist te herenigen (Wie es dem Niederländer Anoush Dastgir gelang, als jüngster Nationaltrainer der Welt Afghanistan zu einen) (ISBN 9789400409286, nur auf Niederländisch).