Juventus - Barcelona: Sicht der Reporter
Mittwoch, 3. Juni 2015
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Paolo Menicucci und Graham Hunter, die beiden Reporter, die für Juventus und den FC Barcelona zuständig sind, schätzen vor dem Endspiel in Berlin die beiden Finalisten ein.
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Schlüsselmoment
Paolo Menicucci: Juventus reiste mit einer 2:1-Führung nach Deutschland zum Achtelfinalrückspiel zu Borussia Dortmund, musste aber auf den verletzten Andrea Pirlo verzichten und verlor nach nicht einmal einer halben Stunde auch noch Paul Pogba. Eingedenk dieser Tatsache war der 3:0-Sieg bemerkenswert. "Wir haben festgestellt, dass wir über eine große Stärke verfügen - technisch und körperlich", sagte Massimiliano Allegri nach dem Spiel. "Wir haben ein Ausrufezeichen in Europa gesetzt."
Graham Hunter: Entweder, als Luis Enrique und Lionel Messi sich darüber einig wurden, dass Luis Suárez auf Dauer ins Sturmzentrum rücken sollte, oder Neymars Treffer im Halbfinalhinspiel zum 3:0 gegen den FC Bayern München im Camp Nou. Das Rückspiel bewies, dass die Drei-Tore-Führung wichtig war, um sich in München den Finalplatz zu sichern.
Schlüsselspieler
Paolo Menicucci: Carlos Tévez hat sich mit seinen Toren und seinem unermüdlichen Einsatz in dieser Saison zu einem echten Strippenzieher seiner Mannschaft entwickelt, aber ein anderer Südamerikaner könnte das As von Allegri in Südamerika werden. Arturo Vidal tat alles, um nach einer Verletzung fit zu werden für die chilenische Nationalmannschaft und damit für die FIFA-WM im vergangenen Sommer. Über weite Teile der Saison hatte er mit Fitnessproblemen zu kämpfen.
Doch schließlich schien der giftige Mittelfeldspieler sein Glück gefunden zu haben. "Vidal läuft nicht länger den Gegnern hinterher, er enteilt ihnen", sagte Allegri. Er schoss 15 bzw. 18 Pflichtspieltore in den beiden Jahren zuvor, in dieser Saison kam er bislang nur auf acht. Hat er noch einen Pfeil für das wichtigste Spiel des Jahres im Köcher?
Graham Hunter: Messi ist in dieser Kategorie meilenweit weg. Von Beginn bis zum Schluss der UEFA Champions League war er gefährlich, seine Darbietung im Achtelfinalrückspiel gegen Manchester City FC war einfach nur bemerkenswert, und seine beiden Treffer im Halbfinalhinspiel gegen die Bayern werden auch unvergessen bleiben.
Form
Paolo Menicucci: Wenn man sieht, wie sie aufgetreten sind im Halbfinalrückspiel gegen Real Madrid CF, als sie in der zweiten Halbzeit ordentlich zulegten, und das trotz der großen Hitze in der spanischen Hauptstadt, und wie sie sich zuletzt im Finale der Coppa Italia gegen den SS Lazio präsentiert haben, als sie sich in der Verlängerung mit 2:1 durchsetzten, dann sollte sich Juve dem Höhepunkt seiner körperlichen Form genähert haben. "Man kann nach einer langen Saison nicht bei 100 Prozent sein", sagte Allegri. "Aber wir werden ihr in Berlin so nahe wie möglich kommen." Nachdem der Scudetto und die Coppa Italia bereits eingetütet sind, kann sich Juve jetzt ganz auf den Saisonhöhepunkt in Berlin konzentrieren.
Graham Hunter: Erstaunlich. Seit der ersten Januarwoche kommen sie auf 30 Siege, zwei Unentschieden und zwei Niederlagen, wobei 104 Tore erzielt und nur 23 Gegentreffer kassiert wurden.
Erfahrung in großen Spielen
Paolo Menicucci: Mag Juve erstmals seit 2003 wieder das Finale der UEFA Champions League erreicht haben, mögen einige der Spieler noch nie in einem Spiel solchen Ausmaßes gestanden haben, so zählt doch Allegri vor allem auf seine Veteranen, die schon etliche große Spiele bestritten haben.
Drei von ihnen (Gianluigi Buffon, Andrea Barzagli und Andrea Pirlo) wissen sogar, wie es ist, in Berlin einen Pokal zu holen, gewannen sie dort im Olympiastadion 2006 doch die FIFA-WM. Mittlerweile spielt Patrice Evra sein fünftes Finale der UEFA Champions League. Nach seiner Halbzeitansprache im Spiel gegen Real gingen die Bianconeri mit einer ganz anderen Einstellung an die Sache.
Graham Hunter: Unübertrefflich. Nicht nur, dass die meisten der Spieler schon einige Male die UEFA Champions League gewonnen haben, sie standen auch in WM-Finals, holten die UEFA-Europameisterschaft oder eroberten viele heimische Titel. Nervenprobleme sollten sie nicht plagen.
Warum sie gewinnen
Paolo Menicucci: Abwehr, Freistöße. Ob Allegri mit einem 3-5-2 oder einem 4-3-1-2 spielen lässt, ich erwarte nicht, dass Barcelona das gleiche Tempo an den Tag legen wird wie in den Runden zuvor gegen Paris Saint-Germain und die Bayern. Die Juve-Mittelfeldspieler sind immer bereit zu helfen, besonders, wenn sich Messi weit zurückfallen lässt, um sich den Ball zu holen. Freistöße allerdings könnten die Hauptangriffswaffe von Juve sein: Pirlos Zauberfuß und eine starke körperliche Präsenz im Kasten könnten Barcelona ein paar Probleme bereiten.
Graham Hunter: 2006 sagte Messi zu mir (nachdem er seinen Ärger darüber eingestanden hatte, nicht beim Finale in Paris dabei zu sein) "Gott will, dass ich zurückkomme und diesen Pokal noch oft gewinne." Ein Hunger, den er noch immer verspürt. Er ist heiß auf dieses Endspiel.
Warum sie nicht gewinnen
Paolo Menicucci: Egal, wie gut man verteidigt, Spieler wie Neymar, Luis Suárez und Messi – nicht zu vergessen Andrés Iniesta – können einen immer bestrafen. Gegen Madrid hat Juventus bewiesen, dass genug Charakter vorhanden ist, nach einem Rückstand wieder zurückzukommen. Aber alles würde noch komplizierter, sollte Barcelona in Führung gehen. Das würde die Bianconeri dazu zwingen, dem tödlichen Sturm von Luis Enrique mehr Platz zu geben.
Graham Hunter: Nachdem ich mit Luis Enrique und zahlreichen Spielern über Juventus geredet habe, ist klar, dass sie den italienischen Meister mit großer Siegermentalität ausgestattet sehen, der angetrieben ist von den Meistertiteln, die er in den letzten vier Jahren gewonnen hat und der Verpflichtung etlicher Spieler, die talentiert, voller Kraft und hungrig nach Erfolgen sind. Die Bianconeri verfügen über Qualitäten, mit denen es Barcelona nicht sehr häufig zu tun bekommt.
Stärken
Paolo Menicucci: Etwa 7,5 Kilometer mehr als Real Madrid hat Juventus im Halbfinalrückspiel zurückgelegt. Und wenn man betrachtet, welche Spieler im gesamten Wettbewerb die meisten Kilometer gelaufen sind, dann findet man sechs Spieler unter den besten zehn. Stephan Lichtsteiner, Giorgio Chiellini und Vidal führen diese Wertung an; Neymar ist Barcelona Bester, er liegt auf Platz 13. Ich erwarte im Finale die gleiche Einstellung, ich erwartete, dass jeder Spieler bei Bedarf eine zusätzliche Laufeinheit einlegen wird.
Graham Hunter: Die Medien nennen das Sturmtrio auch den "Dreizack". Die anderen Spieler beschreiben Messi, Suárez und Neymar als "Monster". Und dafür gibt es einen Grund. In der UEFA Champions League haben sie 25 von 28 Toren geschossen und acht Treffer vorbereitet. Monströs.
Schwächen
Paolo Menicucci: Juve hat nur 16 Tore im Wettbewerb geschossen, zwölf weniger als Barcelona. Messi und Neymar haben zusammen mehr erzielt, als der gesamte Kader von Juve. Doch mit den in Form befindlichen Álvaro Morata und Tévez sowie mit den gefährlichen Mittelfeldspielern wie Vidal, Pogba und Claudio Marchisio hat Juve verschiedene Optionen, um der Abwehr von Barcelona weh zu tun.
Graham Hunter: Bislang wurden sie noch nicht übermäßig gefordert, sieht man von Paris und München, doch während die taktische Arbeit mit Luis Enriques Assistent Juan Carlos Unzué bisher sehr erfolgreich war, verlieren sie im eigenen Strafraum doch immer wieder Kopfballduelle nach ruhenden Bällen. Die individuellen Fähigkeiten werden höher bewertet als Größe und Kraft.
Voraussichtliche Aufstellungen
Juventus: Buffon; Lichtsteiner, Bonucci, Chiellini, Evra; Marchisio, Pirlo, Pogba; Vidal; Tévez, Morata
Barcelona: Ter Stegen; Alves, Piqué, Mascherano, Alba: Rakitic, Busquets, Iniesta: Messi, Suárez, Neymar