Hinter den Kulissen der EURO: Treffen mit einem technischen Beobachter
Dienstag, 13. Juli 2021
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Der ehemalige Nationalspieler und Trainer Mixu Paatelainen gehört zu den 16 technischen Beobachtern bei der UEFA EURO 2020.
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Der ehemalige finnische und lettische Nationaltrainer Mixu Paatelainen gehört seit 2014 zu der illustren Gruppe der technischen Beobachter der UEFA und greift in dieser Position auf sein Wissen aus seiner Laufbahn im Fußball in sechs verschiedenen Ländern zurück. An dieser Stelle bietet er einen Einblick in seine Rolle als technischer Beobachter und erklärt, wie die technischen Berichte der UEFA allen Beteiligten im Trainerwesen zugutekommen.
Name: Mixu Paatelainen
Rolle: Technischer Beobachter bei der UEFA EURO 2020 in St. Petersburg
Erfahrung: Technischer Beobachter der UEFA seit 2014; Beiträge zu früheren Ausgaben der technischen Berichte der UEFA Champions League, UEFA Europa League, der EM-Endrunde und der U21-EM-Endrunde.
Was ist die Aufgabe eines technischen Beobachters bei der EURO 2020?
Wir analysieren das Spiel in taktischer Hinsicht. Wir verfolgen, wie eine Mannschaft defensiv und offensiv agiert, und schauen uns ihr Umschaltspiel an. Wenn eine Mannschaft den Ball erobert, greift sie dann schnell oder langsam an? Und wenn sie den Ball verliert, wie reagiert sie als erstes? Wird sie direkt hoch pressen oder sich eher zurückziehen?
Wir betrachten die Tore im Einzelnen: Wie wurden sie erzielt? Wir schauen, ob uns bei Standardsituationen etwas Besonderes auffällt. Wir verfolgen auch, wie Trainer ihre Vorstellungskraft nutzen, um sich einen Vorteil zu verschaffen, und wie sie die Stärken des Gegners neutralisieren. Wir wählen den Mann des Spiels aus und präsentieren die besten Einzelspieler aus jedem Spiel. Bei Turnieren wählen wir das All-Star-Team und den besten Spieler aus. Außerdem versuchen wir, Trends zu erkennen. Wie spielen die Topmannschaften?
Was sind die wichtigsten Fähigkeiten eines technischen Beobachters?
Ein technischer Beobachter muss die Erfahrung haben, sich in ein Spiel hineinversetzen zu können. Man schaut ganz genau hin – die Position der Spieler, die ersten Pässe nach der Balleroberung, ihr Kombinationsspiel und ihre Art, die Dinge zu antizipieren. Dann verfolgt man Entscheidungen der Trainer, zum Beispiel wie sie Einfluss darauf nehmen, wie ihre Mannschaft spielt, und wie sie versuchen, zu gewinnen. Reporter oder Fans werden diese kleinen Dinge oftmals nicht wahrnehmen, wenn sie ein Spiel verfolgen – zum Beispiel, ob ein Außenverteidiger etwas höher oder tiefer steht. Auf diese Dinge achten wir besonders und wollen sie den Menschen näherbringen.
Was ist die größten Herausforderung bei dieser Aufgabe?
Für mich gibt es als solches keine großen Herausforderungen. Wir haben das Privileg, diese Spiele zu sehen und das Turnier live zu verfolgen. Ein Spiel ist ein Spiel – man analysiert, was auf dem Platz passiert und lässt die Menschen daran teilhaben.
Wie hat die Pandemie die Arbeit der Gruppe der technischen Beobachter beeinflusst?
Die Reisebeschränkungen machen es unmöglich, dass wir uns alle treffen. Diese Treffen sind immer gute Gelegenheiten, mit anderen Fußballexperten zu diskutieren, ihre Ansichten zu verstehen und Informationen auszutauschen. Das ist ein Nachteil, aber damit müssen wir derzeit leben. Wir treffen uns allerdings online, um sicherzustellen, dass wir uns weiter austauschen können. Darüber hinaus können wir die Trainer nicht persönlich interviewen, weil sie in einer Blase arbeiten. Normalerweise begrüßen wir es sehr, wenn sie uns ausführlich erklären, warum sie bestimmte Entscheidungen getroffen haben.
Was glauben Sie, wie die Erkenntnisse der Beobachter die technische Entwicklung des Fußballs unterstützen?
Diese Informationen gehen an alle – sie stehen allen Mitgliedern der Trainergilde in ganz Europa zur Verfügung. Sie können diese Informationen zu ihren Gunsten nutzen und sich daran orientieren, wie bei einem bestimmten Turnier wie der EURO 2020 Fußball gespielt wurde. Daraus können sie hoffentlich lernen und es für ihre eigene Arbeit einsetzen. Kurz gesagt zeichnen wir auf, auf welche Art Fußball gespielt wurde, und verbreiten dieses Wissen unter den Trainern.
Welche positiven Lehren bzw. Erfahrungen ziehen Sie aus der EURO 2020?
Auf dem Platz wurden im Vergleich zur letzten Endrunde mehr Tore erzielt. Die Mannschaften spielen offener und das Umschaltspiel funktioniert bei einer Balleroberung schneller. Die Dauer des Ballbesitzes vor einem Treffer ist kürzer, was darauf hindeutet, dass die Mannschaften effektiver agieren.
Wer sind die technischen Beobachter bei der UEFA EURO 2020?
Seit 1996 hat die UEFA über 130 technische Berichte zu ihren Klub- und Nationalmannschaftswettbewerben publiziert und so technische und taktische Einblicke in die Entwicklung des Fußballs in Europa in den letzten 25 Jahren geboten.
Unter der Leitung des Italieners Fabio Capello berichten insgesamt 16 technische Beobachter von der EURO 2020 – ein Zeichen für die Weiterentwicklung der Rolle, seit die UEFA fünf Beobachter (Gérard Houllier, Daniel Jeandupeux, Rinus Michels, Tommy Svensson und Roy Hodgson) zur EM-Endrunde 1996 nach England entsandt hat. Mit im diesjährigen Team dabei ist auch die Trainerin der französischen Frauennationalmannschaft, Corinne Diacre. Sie ist die erste technische Beobachterin bei einer EM-Endrunde der Männer.
„Die analytische Arbeit dieser Expertengruppe dient als Grundlage für die Beobachtung der Entwicklung des modernen Fußballs“, erklärte Fabio Capello vor Turnierbeginn. „Die Berichte zeigen nicht nur die verschiedenen Spielphilosophien der Mannschaften auf, sondern auch, wie sich die Trainer im Angesicht der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Spieler, Mannschaften und Spielvorbereitung angepasst haben. Die Ergebnisse stehen auch für Ausbildungszwecke zur Verfügung, was für die kontinuierliche Entwicklung des Fußballs entscheidend ist.“
Das gesamte Team der technischen Beobachter bei der EURO 2020 setzt sich aus folgenden Personen zusammen: Packie Bonner (Republik Irland), Esteban Cambiasso (Argentinien/Italien), Fabio Capello (Italien), Cosmin Contra (Rumänien), Corinne Diacre (Frankreich), Jean-François Domergue (Frankreich), Dušan Fitzel (Tschechien), Steffen Freund (Deutschland), Frans Hoek (Niederlande), Aitor Karanka (Spanien), Robbie Keane (Republik Irland), Ginés Meléndez (Spanien), David Moyes (Schottland), Mixu Paatelainen (Finnland), Peter Rudbæk (Dänemark), Willi Ruttensteiner (Österreich).