Geburtsstunde der UEFA-Fußball-Europameisterschaft
Freitag, 11. Juni 2021
Artikel-Zusammenfassung
Die UEFA-Fußball-Europameisterschaft ist mittlerweile ein weltweites sportliches Großereignis. Nachfolgend werfen wir einen Blick auf die Anfänge der Veranstaltung und wie sie in den 1950er-Jahren Gestalt angenommen und mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hat.
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Die Fußball-Europameisterschaft begeistert heute Menschen rund um den Globus. Im Juni 1958 wurde das prestigeträchtige Kräftemessen ins Leben gerufen. Der nachfolgende Artikel beleuchtet Ursprünge und Entwicklung des Wettbewerbs in den 1950er-Jahren.
Die Idee zu einem europäischen Wettbewerb für Nationalmannschaften war bereits Jahre zuvor vom Franzosen Henri Delaunay aufgebracht worden, der nach der Gründung der UEFA im Juni 1954 deren erster Generalsekretär wurde. Schon 1927 hatte Delaunay zusammen mit dem einflussreichen österreichischen Funktionär Hugo Meisl dem Fußballweltverband FIFA einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet.
Es sollte noch 30 Jahre dauern, bis Delaunays Traum Wirklichkeit wurde, doch von Anfang an war die Schaffung eines solchen Nationalmannschaftswettbewerbs eines der obersten Ziele der UEFA, das gar in ihren ersten Statuten festgeschrieben wurde. Das vorherrschende Gefühl war, dass ein FIFA-Kontinentalverband über einen eigenen Nationalmannschaftswettbewerb verfügen sollte. Im Herbst 1954 setzte die UEFA eine Subkommission ein, die einen ersten Reglementsentwurf erarbeiten sollte. Die Arbeit dieser Subkommission führte letzten Endes zur Vorlage eines Vorschlags beim ersten UEFA-Kongress im März 1955 in Wien. Der Entwurf sah vor, den Wettbewerb in zwei Phasen zu unterteilen: eine K.-o.-Phase in der Saison vor einer FIFA-Weltmeisterschaft und eine Endrunde in einem einzigen Land in der darauf folgenden Saison. Um keine zusätzlichen Daten im Spielkalender in Anspruch zu nehmen, sollte der vorgeschlagene neue Wettbewerb gleichzeitig als europäischer Qualifikationswettbewerb für die WM dienen.
Die FIFA, die einem solchen Wettbewerb zustimmen musste, reagierte indes zunächst zurückhaltend. Ihr damaliger Generalsekretär Kurt Gassmann schrieb an die UEFA, dass er nicht alle im Zusammenhang mit dem UEFA-Wettbewerb und der WM-Vorrunde 1958 vorgestellten Gedanken teile. Gassmann fand, dass das Projekt den Interessen der FIFA zuwider laufe und dass die Ausrichtung der Endrunde eines europäischen Wettbewerbs im selben Jahr wie die WM-Endrunde eine gefährliche Konkurrenz für das FIFA-Turnier darstelle und die für die FIFA existenziellen Einnahmen gefährde. Er schlug vor, die K.-o.-Phase des europäischen Wettbewerbs zwei Jahre vor der Weltmeisterschaft abzuhalten und die Endrunde ein Jahr vorher. Ferner sei es angebracht, so Gassmann, die Vorrunde des europäischen Wettbewerbs nicht mit der FIFA-Vorrunde gleichzusetzen.
„Unausgereifte“ Idee
Der Kongress in Wien reichte daher den konsequenterweise als „unausgereift“ bewerteten Vorschlag zurück an die Subkommission, die ihren Entwurf in der Folge so überarbeitete, dass Überschneidungen mit der WM-Endrunde vermieden und die Idee einer Gruppenphase zugunsten eines Formats mit K.-o.-Begegnungen über Bord geworfen wurde, um eine Überlastung des Spielkalenders zu vermeiden.
Doch es gab weiter Gegenwind. Die Vereine wurden konsultiert und zeigten sich unwillig, ihre Spieler noch häufiger für die Nationalmannschaft freizustellen. So wurde das Projekt bei den Kongressen 1956 in Lissabon und 1957 in Kopenhagen immer wieder aufgeschoben, bevor es schließlich auf der Tagesordnung für den Kongress im Juni 1958 in Stockholm landete. In der Zwischenzeit war es den Anhängern der Idee gelungen, eine Abstimmung 1957 mit 15 zu 7 Stimmen bei vier Enthaltungen und einer ungültigen Stimme zu gewinnen.
Beim Kongress in der schwedischen Hauptstadt entspann sich eine leidenschaftliche Debatte. Das Versammlungsprotokoll enthüllt, dass der italienische Verbandspräsident Ottorino Barassi die Schaffung eines solchen Wettbewerbs als „nicht wünschenswert“ bezeichnete, da er zu viele Termine im internationalen Spielkalender besetzen und den Nationalismus in Europa fördern würde. Die westdeutschen Vertreter hielten es für unangemessen, einen Wettbewerb einzuführen, ohne dass dem Kongress zuvor ein entsprechendes Reglement präsentiert worden sei. Dennoch sprach sich am Ende eine Mehrheit der Delegierten dafür aus, einen solchen Wettbewerb auf den Weg zu bringen.
Gespräche beim Essen
Der erste Präsident der UEFA, der Däne Ebbe Schwartz, bat die Subkommission, das Projekt in der Mittagspause des Kongresses nochmals zu besprechen, und schlug vor, den Beginn des Wettbewerbs auf 1959 zu verschieben – eine Idee, die von der Subkommission zurückgewiesen wurde. Mehrere Delegierte der damals 31 UEFA-Mitgliedsverbände baten darum, das Projekt nochmals zu prüfen. Zum Auftakt der nachmittäglichen Sitzung beendete der UEFA-Präsident die Debatten mit der Ankündigung, dass die Auslosung am Freitag, 6. Juni stattfinden werde.
Es war eine schwere Geburt gewesen, doch nun hieß es volle Kraft voraus, und die Auslosung fand wie geplant zwei Tage nach dem Kongress im Foresta Hotel in Stockholm statt. 17 Verbände – Bulgarien, Dänemark, die DDR, Frankreich, Griechenland, Jugoslawien, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, die Republik Irland, Rumänien, Spanien, die Tschechoslowakei, die Türkei, die UdSSR und Ungarn – hatten sich für die erste Ausgabe angemeldet. Mit Abwesenheit glänzten derweil drei namhafte Fußballländer: die BRD, England und Italien.
Das erste offizielle Spiel des Europapokals der Nationen, wie der Wettbewerb genannt wurde, fand am 28. September 1958 statt. Die UdSSR trat im Moskauer Luschniki-Stadion gegen Ungarn an. Die Gastgeber gewannen die Achtelfinalbegegnung vor 100 572 Zuschauern mit 3:1. Zuvor hatte es eine Vorausscheidung gegeben, um die 17 Teilnehmer auf ein 16er-Format zu reduzieren. Die Paarung wurde ausgelost, und die Tschechoslowakei setzte sich gegen die Republik Irland durch. Als erster EM-Torschütze ging der Sowjetrusse Anatoli Iljin dank einem Treffer in der 4. Minute der Partie gegen Ungarn in die Geschichte ein.
Delaunays Traum wird Wirklichkeit
Henri Delaunay sollte die Verwirklichung seines Traums nicht mehr miterleben: Er war am 9. November 1955 verstorben. Sein Nachfolger als UEFA-Generalsekretär wurde sein Sohn Pierre, der unbeirrbar die Idee seines Vaters weiterverfolgte, bis sie grünes Licht erhielt. In Anerkennung der Rolle Henri Delaunays bei der Schaffung des neuen Wettbewerbs wurde die vom Französischen Fußballverband gestiftete Trophäe nach ihm benannt.
Pierre Delaunay sagte dem Wettbewerb eine rosige Zukunft voraus. „[Es] steht zu hoffen“, schrieb er im Offiziellen UEFA-Bulletin vom September 1958, „dass nach den Erfahrungen, die wir aus dieser ersten Veranstaltung des Völkerpokals Europas ziehen werden, die Anzahl der teilnehmenden Länder im Jahre 1962 noch höher sein wird.“Mit seinem Optimismus sollte er recht behalten: Für die zweite Ausgabe von 1962 bis 1964 meldeten sich 29 Verbände an.
Die Erstauflage endete im Juli 1960 mit einem Turnier in Frankreich, an dem neben dem Gastgeber Jugoslawien, die Tschechoslowakei und die UdSSR teilnahmen. Im Finale im Prinzenparkstadion besiegte die UdSSR Jugoslawien mit 2:1. Alles Große beginnt im Kleinen, und nun war die Saat gelegt für einen Wettbewerb, der über die kommenden sechs denkwürdigen Jahrzehnte zu einer der größten und beliebtesten Sportveranstaltungen der Welt heranwachsen sollte.