Der Fußball bietet ihr Trost
Donnerstag, 5. September 2019
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Elwira Askersades Leben erfuhr einen traurigen Wendepunkt, als sie elf Jahre alt war und ihre Mutter starb. Doch die heute 18-Jährige aus Aserbaidschan fand Trost im Fußball und wuchs zu einer vielversprechenden Torhüterin und Spielführerin der U19-Frauen-Nationalmannschaft ihres Landes heran.
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Jeden Monat berichtet die UEFA im Rahmen ihrer Kampagne #EqualGame über eine Person aus einem ihrer 55 Mitgliedsverbände. Sie alle sind Beispiele dafür, wie der Fußball Inklusion, Zugang zum Sport und Vielfalt fördert und dass Behinderung, Religion, sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit und soziale Herkunft kein Hindernis sind, Fußball zu spielen und Spaß daran zu haben.
Elwira Askersade hatte es als junges Mädchen nicht leicht. Ihre Mutter starb, als sie elf Jahre alt war. Eine solche Erfahrung könnte einen Menschen völlig aus der Bahn werfen, aber die 18-Jährige aus Aserbaidschan hat sich durch den Fußball auf bewundernswerte Weise zurückgekämpft.
Sie begann, sich für Fußball zu begeistern, der ihr nicht nur in schweren Zeiten Trost spendete, sondern sich auch als Sportart erwies, für die sie Talent hatte. Ihre Fähigkeiten im Tor brachten ihr bisher einen mehrjährigen Aufenthalt sowie in der Aserbaidschanischen Fußballakademie sowie einen Platz in der U19-Frauen-Nationalmannschaft und schließlich die Kapitänsbinde ein, was sie von einer erfolgreichen Fußballkarriere auf A-Ebene träumen lässt.
Elwira wuchs am Kaspischen Meer, in der nahe der südlichen Landesgrenze zu Iran gelegenen Stadt Länkäran auf. Als kleines Mädchen lag der Fußball sozusagen vor ihrer Haustür.
„Als ich ein Kind war, wohnten wir in der Nähe eines Stadions und ich sah, wie Mädchen wie ich dort Fußball spielten. Mein Bruder schaute ständig Fußball und als kleines Kind ich fragte ihn immer: ,Wieso guckst du dir das an?‘ Später schaute ich dann selber immer, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob es mir gefiel – ich wollte einfach sehen, was es damit auf sich hatte. Dann fing ich an, mich dafür zu interessieren, und sagte mir: ,Vielleicht sollte ich das ja auch mal ausprobieren. Ich kann das bestimmt auch.‘“
Es war ihre Mutter, die der kleinen Elwira den Weg in die Welt des Fußballs ebnete. „Mit acht Jahren hat mich meine Mutter zum Fußball angemeldet. Während des Schuljahrs ging ich nicht zum Training, nur in den Ferien – sie wollte, dass ich beschäftigt bin.“
Aber bald darauf starb die Mutter – ein schrecklicher Schock für ein junges Mädchen. Elwira erinnert sich: „Nach ihrem Tod war ich deprimiert und interessierte mich für gar nichts mehr.“ Ihre Großmutter Sibejda übernahm die Mutterrolle und der Fußball fing sie auf und gab ihr neuen Antrieb.
„Meine Trainer glaubten an mich und holten mich zurück. Und so spielte ich weiter. Es machte mir Spaß und war erfüllend.“ Neben der Großmutter wurde der Fußball zur großen Stütze in ihrem jungen Leben. „Ich hatte eine schwere Kindheit“, gesteht sie. „Ich wuchs nicht auf wie andere Kinder.“
Sie verrät auch, dass es in ihrer Familie einigen Widerstand zu ihrer Wahl, Fußball zu spielen, gab. „Meine Großmutter wollte nicht, dass ich auf den Fußball setze, sie wollte, dass ich studiere, wie alle anderen auch. Ich aber habe mich für meinen Traum entschieden. Ich wusste, dass ich es schaffen kann.“
Zu Beginn hatte sie keineswegs vor, Torhüterin zu werden. „Ich habe lieber [vorne] gespielt“, gibt sie zu. „Der Trainer stellte mich immer ins Tor wegen meiner Größe. Dann erst habe ich gemerkt, dass ich Talent dafür hatte.“ Elwiras vielversprechende Anfänge als Torhüterin fielen bald auch den aserbaidschanischen Junioren-Nationaltrainern auf, und mit 14 erhielt sie ein Angebot, ihre Heimatstadt Länkäran zu verlassen und nach Baku in die nationale Fußballakademie des Aserbaidschanischen Fußballverbands (AFFA) zu ziehen.
„Am Anfang fühlte ich mich in der Akademie sehr fremd“, erinnert sie sich und denkt an ihre regelmäßigen Heimwehanfälle zurück. „Es war das erste Mal, dass ich so weit von zu Hause weg war. Anfangs war ich richtig nervös, aber mit der Zeit gewöhnte ich mich an die Akademie.“ Seither hat sie sich ständig weiterentwickelt – in fußballerischer wie in persönlicher Hinsicht. Sie wird allmählich zu einer ausgezeichneten Torhüterin, vertritt ihr Land in den Juniorinnen-Nationalteams und ist zu einer selbstbewussten jungen Frau herangereift.
Das Leben in der Akademie hat Elwira in vielerlei Hinsicht weitergebracht. „Ich bin hier in einem professionellen Umfeld groß geworden“, erklärt sie. „Ich musste mir einen festen Ablauf angewöhnen, der im Wesentlichen aus Schlafen, Essen und Trainieren besteht.“ Auf Klubebene spielt Elwira für den Erstligaklub FC Tahsil aus Baku. „Ich bin hier zur Profisportlerin ausgebildet worden. Ich habe mich hochgearbeitet und spiele in einem Team über meiner eigentlichen Altersklasse.
Ich habe hier neue Freunde gefunden. Obwohl meine Familie weit weg ist, weiß ich, dass ich hier eine zweite Familie habe. Wenn ich Probleme habe, gibt es hier Personen, denen ich mich anvertrauen und die ich um Hilfe bitten kann.“ Aserbaidschans Hauptstadt Baku ist eine quirlige Metropole mit einem besonderen Charme. „Ich fühle mich hier wohl“, sagt Elwira. „Ich mag Baku, weil es mich zu dem gemacht hat, was ich bin.“
Nach Hause zu ihrer Großmutter fährt sie trotzdem immer noch gern. „Wir haben Spaß zusammen“, so Elwira. „Wenn ich hier in der Akademie bin, rufe ich sie über Video an. Sie ist die Person in meinem Leben, an der ich am meisten hänge.“ Auch die Vorbehalte der Großmutter gegenüber den fußballerischen Aktivitäten der Enkelin gehören seit langem der Vergangenheit an. „Nachdem sie meine Fußballbegeisterung erkannt hatte, hatte sie nichts mehr dagegen. Sie hat mich unterstützt. Ich glaube, dass meine Familie mittlerweile sehr stolz auf mich ist, da sie nicht dachten, dass ich so weit kommen könnte.“
Ihre Fußballbegeisterung ist Elwira in jedem Moment anzumerken: „Ich liebe Fußball. Er bedeutet mir alles.“ Sie hat viel nachgedacht über ihren geliebten Sport und misst ihm eine große gesellschaftliche Bedeutung bei: „Ich denke, dass Fußball das Symbol für Freundschaft ist – denn es gibt keine Grenzen oder Unterschiede aufgrund von Religion, Rasse oder Geschlecht. Menschen jeden Alters und jeder Ethnie, ob männlich oder weiblich – jeder kann Fußball spielen.“
Elwira erklärt, dass früher in Aserbaidschan die Ansicht weit verbreitet war, dass Frauen nicht Fußball spielen sollten. „Heute ist das nicht mehr so“, sagt sie. „Die Dinge entwickeln sich ständig weiter und die Menschen in unserem Land können sehen, dass Frauen ebenfalls Fußball spielen können.“
Das Tor zu hüten, ist ein sehr spezifischer, bisweilen einsamer Job. „Ich denke, Torwart zu sein, ist eine sehr schwierige Aufgabe“, gesteht Elwira ein. „Man trägt eine riesige Verantwortung. Deine Mitspieler müssen sich auf dich verlassen können. Wenn sonst jemand im Team Fehler macht, kann ein anderer ihn ausbügeln. Wenn der Torhüter einen Fehler macht, dann endet das meistens mit einem Treffer.“ In ihrer Rolle als Spielführerin sieht Elwira ihre Aufgabe darin, ihre Mitspielerinnen zu beobachten und zu lenken, da sie von ihrer Position aus das Spiel vor sich hat.
Elwiras größter Traum wäre es, in der UEFA Women’s Champions League zu spielen. „Das ist mein Ziel, darauf arbeite ich hin. Wenn mir das gelingt, dann werde ich versuchen, dieses Niveau zu halten, aber nicht stehenzubleiben, sondern mich noch weiterzuentwickeln. Falls ich die Women’s Champions League gewinnen sollte, werde ich zu meiner Großmutter fahren und ihr die Medaille zeigen!“
Durch den Tod ihrer Mutter ist Elwira schnell erwachsen geworden, doch noch immer lässt sie sich von der Einstellung ihrer Mutter leiten. „Der Tod meiner Mutter hat mich dazu gebracht, mich stärker aufs Leben zu konzentrieren“, bekennt sie. „Denn sie wollte, dass es mir gut geht. Damit ihr Traum sich erfüllt, gebe ich jeden Tag mein Bestes, um erfolgreich zu sein. Ich glaube, meine Mutter ist stolz auf mich.
Ich bin überzeugt, dass Menschen etwas dafür tun sollten, ihre Träume zu verwirklichen. Ich selbst arbeite auch hart daran, mein Ziel zu erreichen. Es hat Leute gegeben, die Dinge gesagt haben wie: ,Das kannst du nicht‘, ,Das ist was für Jungs‘, ,Mädchen können das nicht‘. Aber zum Glück habe ich gezeigt, dass es möglich ist. Wenn man etwas will, dann kann man es erreichen.Ich glaube, die Liebe zum Fußball hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Ich möchte nicht, dass andere Mädchen die Hoffnung verlieren und aufgeben wegen dem, was andere Leute denken.
Wenn du an dich glaubst, kannst du es schaffen. Wenn du etwas wirklich willst, dann ist nichts unmöglich.“