Drei Schlüssel zu einem großen Schiedsrichter
Donnerstag, 2. Februar 2012
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Körperliche Fitness, gute Augen und mentale Stärke - drei unverzichtbare Elemente für einen europäischen Topschiedsrichter. All diese Aspekte standen diese Woche beim UEFA-Wintertreffen für Schiedsrichter in der Türkei im Mittelpunkt.
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Körperliche Fitness, gute Augen und mentale Stärke – drei unverzichtbare Elemente für einen europäischen Topschiedsrichter. All diese Aspekte standen diese Woche beim UEFA-Wintertreffen für Schiedsrichter in der Türkei im Mittelpunkt. Heute geht es nicht nur darum, auf dem Platz die richtigen Entscheidungen zu treffen – Spieloffizielle müssen auch in anderen Bereichen zu 100 Prozent auf ihre Aufgaben vorbereitet sein. Wir stellen Ihnen drei davon vor.
Zunächst einmal sollten Sie sich mal ein wichtiges Spiel, egal in welcher Liga Europas, hinsichtlich seines Tempos und seiner Intensität ansehen und Sie werden schnell begreifen, warum die Offiziellen körperlich in Topzustand sein müssen, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Der belgische Fitnessexperte Werner Helsen trainiert im Auftrag der UEFA international eingesetzte Schiedsrichter. In der Türkei prüfte sein Team die anwesenden Unparteiischen hinsichtlich ihres Gewichts und ihres Fettanteils und organisierte einen Fitnesstest, um zu kontrollieren, ob die Schiedsrichter ihren im Frühjahr anstehenden Europapokalaufgaben auch gewachsen sind.
"Es ist in der Tat so, dass der Schiedsrichter von heute ein Athlet sein muss, genauso wie die Spieler", erklärte Helsen gegenüber UEFA.com. "Es gibt heute viel mehr Athleten auf dem Platz, als noch vor einigen Jahren. Das kann man leicht an der Physis der Schiedsrichter erkennen, aber auch an ihren Leistungen auf dem Platz. Wenn man die Leistungen der Schiedsrichter heute mit denen der Schiedsrichter von vor fünf oder sechs Jahren vergleicht, kann man dramatische Unterschiede feststellen. Zum Beispiel hat sich die Anzahl der Sprints von der Saison 2003/04 bis heute verdoppelt. Glauben Sie mir, erstmals in der Geschichte der englischen Premier League haben die Schiedsrichter mehr Sprints hingelegt, als die Spieler.
"Ein Schiedsrichter läuft zwischen 10 und 13 Kilometer [pro Spiel]", fügte Helsen an, "doch der größte Unterschied ist bei der Anzahl der hochintensiven Läufen festzustellen und auch bei den Sprints, deren Anzahl sich seit 2003 verdoppelt hat. Heute muss ein Schiedsrichter rund 50 Sprints pro Spiel absolvieren, das entspricht in etwa der Zahl der Sprints von Spielern."
Der UEFA-Schiedsrichter-Offizier Hugh Dallas verglich die 1970er Jahre mit der heutigen Zeit. "Leute, die sich das WM-Finale von 1970 noch einmal ansehen, werden glauben, ihr Fernseher sei defekt, weil das Spiel wie in Zeitlupe abläuft", sagte er. "Heute, im 21. Jahrhundert, sieht man, wie schnell das Spiel geworden ist – und wir müssen die Schiedsrichter ebenso darauf vorbereiten, wie die Klubs und Nationalmannschaften ihre Spieler vorbereiten.
"Ein Schiedsrichter darf gerne doppelt so alt sein wie die Spieler, aber er muss genauso fit sein", fuhr Dallas fort. Der heute 54-jährige Schotte leitete 1999 das Endspiel des UEFA-Pokals und war 2002 beim WM-Finale Vierter Offizieller. Er hatte noch die Gelegenheit, im Spätherbst seiner Karriere die Vorzüge großer Fitness kennenzulernen.
"Ich war einer der ersten Schiedsrichter, die diesen neuen, professionellen Ansatz der UEFA praktiziert haben", erinnerte sich Dallas. "Gegen Ende meiner Karriere war ich wahrscheinlich viel fitter, als zu Beginn. Dies verdankte ich dem neuen Ansatz, zu dem wir ermutigt wurden. Wir wurden andauernd von Fitnessexperten analysiert – es gab keine Möglichkeit, sich dem zu entziehen."
Kommen wir zum zweiten Aspekt. Bei dem Kurs in Antalya mussten die Schiedsrichter auch ihre Sehfähigkeiten testen lassen. Sie mussten in der Lage sein, bestimmte - sich bewegende und stillstehende - Objekte zu fokussieren, und dazu noch auf die Bewegungen um sich herum zu reagieren. "Wir testen unsere Schiedsrichter hinsichtlich ihrer Entscheidungen, aber auch bezüglich körperlicher und psychologischer Aspekte", sagte Dallas. "Aber wir haben nie geprüft, wie scharf ihre Sehkraft eigentlich während eines Spieles sein muss.
"Farbenblindheit könnte zum Beispiel manchmal ein Problem sein, wir lassen wirklich keinen Aspekt außer Acht. Wir haben Spezialisten angeheuert, die den Augenhintergrund der Schiedsrichter testen. Gott sei Dank haben wir diesbezüglich noch keine negativen Überraschungen erleben müssen."
Kommen wir zum dritten und letzten Aspekt: Topschiedsrichter benötigen eine große mentale Stärke, um ihre Jobs bestmöglich zu erfüllen. Der Engländer Howard Webb stellt sich jede Woche in der Premier League großen Herausforderungen – unter mikroskopischer Überwachung durch Spieler, Trainer, Presse, TV und Öffentlichkeit.
"Die englischen Schiedsrichter haben kürzlich an einer Universitäts-Studie über das Leben als Profischiedsrichter teilgenommen", sagte Webb. "Die wichtigste Erkenntnis war die Bedeutung von mentaler Stärke, großer Entschlossenheit und Selbstvertrauen.
"Das sind absolut unverzichtbare Elemente", fügte Webb hinzu, der 2010 das WM-Finale und das Endspiel der UEFA Champions League geleitet hat. "Ohne diese Charaktereigenschaften wird man nie an die absolute Spitze kommen. Wichtiger Bestandteil des Fußballs ist das Wissen, dass die Menschen sicher nicht immer gutheißen werden, was du auf dem Platz entschieden hast. Das Spiel wird immer schneller und anspruchsvoller, und der Druck steigt. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, dass man sein Selbstvertrauen nie verlieren darf."
Körperliche Fitness, gute Sehfähigkeiten und ein starker Charakter. Diese drei Komponenten sorgen dafür, dass europäische Topschiedsrichter ihrem weltweit gutem Ruf auch weiterhin gerecht werden.