Vom Drillmeister zum väterlichen Freund
Donnerstag, 31. März 2011
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Jupp Heynckes hat seit dem Beginn seiner Trainerkarriere eine erstaunliche Wandlung vollzogen. Ausschlaggebend dafür waren vor allem gewonnene Reife, Auslandserfahrung und ein persönlicher Schicksalsschlag.
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Wer den deutschen Fußball Ende der 1980er bis Mitte der 1990er verfolgt hat und sich jetzt Jupp Heynckes wieder genauer anschaut, der wird den 65-jährigen Fußballlehrer kaum wiedererkennen. Wenn man sieht, wie der kommende Trainer des FC Bayern München und aktuelle Übungsleiter von Bayer 04 Leverkusen im Presseraum der Werkself sitzt, entspannt und locker mit Reportern oder blutjungen Spielern wie Daniel Schwaab oder Lars Bender scherzt, ja man ist schon fast geneigt zu sagen kokettiert, der kann sich nur schwer an jenen dünnlippigen, oft verbissen wirkenden Mann erinnern, der 1989 und 1990 mit dem FC Bayern als Trainer deutscher Meister wurde. Das Bild eines väterlichen Freundes drängt sich fast auf, wenn Heynckes Bender zur Pressekonferenz mitbringt, und dann wohlwollend lächelnd mit einer freundlich-bestimmten Replik die etwas zu kecken Aussagen des Jungprofis kommentiert.
Das sah früher ganz anders aus. Unvergessen ist der TV-Auftritt mit dem damaligen Trainer des 1. FC Köln, Christoph Daum, und Bayern-Manager Uli Hoeneß, als Daum und Hoeneß vehement stritten und Heynckes mit hochrotem Kopf dazwischen saß. Osram - so lautete damals sein Spitzname. Meister wurden zwar Heynckes und Bayern, aber dem Image des Mannes, der mit 220 Toren in 369 Spielen (fast alle für den VfL Borussia Mönchengladbach) immer noch drittbester Torschütze der Bundesligageschichte ist, tat dieser Abend nicht gerade gut. Ewald Lienen, den Heynckes in seiner ersten Station in Gladbach trainierte, sagte einst über ihn: "Es hat Phasen gegeben, da hätte ich ihn auf den Mond schießen können. Er hat sich selber wahnsinnig unter Druck gesetzt und wenn er dann von uns enttäuscht war, konnte er in seiner Kritik grausam verletzend sein." Junge Profis, so hieß es damals, hätten Angst vor Heynckes gehabt.
Auch bei Eintracht Frankfurt in der Saison 1994/95 ging einiges daneben. "Er mag nur sich selbst, will der Größte sein. Alle müssen unter ihm stehen", sagte der Frankfurter Topstürmer Yeboah damals, nachdem Heynckes ihn suspendierte. Der Trainer keilte zurück: "Die Spieler bekommen immer mehr Alibis für ihre Unzulänglichkeiten, Moral und Verantwortungsbewusstsein bleiben auf der Strecke."
Drill und Zucht, das war das Image von Heynckes in Deutschland, der danach vor allem in Spanien und Portugal arbeitete, wo er 1998 mit Real Madrid CF die UEFA Champions League gewann und trotzdem gehen musste. In seiner Heimat fast unbemerkt machte Heynckes in dieser Zeit den ersten Teil seiner Wandlung durch. "Ich gehe heute mehr auf den Menschen ein, das habe ich in Spanien gelernt", sagte er 2003 und auch sein Bild bei den Spielern war ein anderes als früher. Deutschlands WM-Torwart von 1990, Bodo Illgner, der unter Heynckes bei Real spielte, meinte: "Jupp ist ein Trainertyp wie Vincente del Bosque, der Spanien 2010 zum Weltmeister machte. Ruhig, sachlich. Er regiert nicht so mit harter Hand wie ein Fabio Capello oder José Mourinho."
Bei zwei unglücklichen Comebacks in der Bundesliga beim FC Schalke 04 (2003-2004) und bei seiner alten Liebe Gladbach (2006-2007) wurde das noch nicht so ganz deutlich, und so war die Verwunderung überall groß, dass Heynckes 2009 für fünf Spieltage als Interimstrainer bei den Bayern auf Jürgen Klinsmann folgte. Bayern-Manager Hoeneß wiederholte damals, dass es seine "größte Fehlentscheidung" gewesen sei, seinen Freund Heynckes 1991 zu schassen. Der Gladbacher führte die Bayern als Vizemeister in die Königsklasse und hatte offensichtlich Blut geleckt, denn er unterschrieb nach dem Kurzauftritt in München bei Bayer 04 Leverkusen, wo er seit fast zwei Jahren von fast allen Seiten Lob einheimst.
"Da ist der alte Bellheim, Trainer-Senior Jupp Heynckes, der sich ganz toll entwickelt hat, der wesentlich lockerer und souveräner geworden ist", sagte der früherer Leverkusen-Manager Reiner Calmund und fasst damit ziemlich genau die öffentliche Meinung über Heynckes zusammen. Dieser führt neben seinen Erfahrungen in Spanien einen weiteren Grund für seinen Wandel an – die schwere Erkrankung seiner Ehefrau vor einigen Jahren. "Ich habe eine zweijährige Krankheitsphase mit mehreren Operationen durchgemacht. Da habe ich das alles reflektiert, und mir wurde klar, dass viele Dinge im Leben gar nicht so wichtig sind. Das hat mir gut getan."
Ganz verändert hat er sich natürlich nicht. "Ich bin genauso wenig wie Felix Magath ein Kumpeltyp. Am wichtigsten ist es doch, authentisch zu sein. Ich habe eine Vita, die junge Spieler möglicherweise beeindruckt. Deshalb ist es wichtig, dass ich von Anfang an auf sie zugehe und zeige, dass man mit mir sprechen kann. Man muss erkennen, wann ein offenes Ohr wichtig ist", so Heynckes, während Bayerns Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge von der Aura seines neuen alten Coachs angetan ist: "Wenn er vor einem steht und spricht, dann weiß man, dass das Feuer in ihm noch sehr brennt. Er hat offensichtlich eine biologische Uhr, die ihn wesentlich jünger macht."
Ob Heynckes die Bayern wirklich nach vorne bringen kann, wird erst die Zeit zeigen. Doch für den Trainer wie den Verein gilt bei der mittlerweile dritten Zusammenarbeit eindeutig: Da weiß man, was man hat.