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Kosovo: Der Schatten weicht dem Licht

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Aufgrund seiner bewegten Vergangenheit musste sich Kosovo außerhalb der Strukturen des Weltfußballs entwickeln. Seit der Aufnahme in die UEFA erlebt Kosovo eine wahre Revolution.

Kosovo: Der Schatten weicht dem Licht
Kosovo: Der Schatten weicht dem Licht ©Domenic Aquilina

Die schnelle Entwicklung und der talentierte Nachwuchs geben dem Land auf dem Balkan allen Grund zum Optimismus. Die jüngsten Erfolge in der Nations League lassen auf eine Qualifikation für die EURO 2020 hoffen.

In ihrem ersten Spiel in der WM-Qualifikation bekam es die kosovarische Mannschaft mit dem späteren Vizeweltmeister Kroatien zu tun
In ihrem ersten Spiel in der WM-Qualifikation bekam es die kosovarische Mannschaft mit dem späteren Vizeweltmeister Kroatien zu tun©FFK

5. September 2016. Kosovo schreibt an der finnischen Küste ein Stück Geschichte. Im Hansa-Stadion von Turku steht die Nationalmannschaft des Kosovo kurz vor ihrem Erstspiel im Rahmen der Qualifikation für die WM 2018. Der Präsident der Republik Kosovo, Hashim Taçi, ist mit von der Partie und an der Seite von Fadil Vokrri, der Fußball-Legende Kosovos. Der Präsident erlebt an diesem Tag ein Auf und Ab der Gefühle: Nur wenige Stunden vor dem Anpfiff ist die Mannschaft noch nicht vollständig. „Es fehlten die Genehmigungen der FIFA, dass einige Spieler, die für andere Nationalmannschaften aufgestellt waren, für uns spielen durften“, erzählt Eroll Salihu. Er war als Spieler des FC Pristina bekannt und bekleidet derzeit das Amt des FFK-Generalsekretärs. „Am Vorabend hatten wir noch nicht einmal eine Startelf zusammen.“Nach und nach trudelten die Genehmigungen ein. Fünf Stunden vor Anpfiff gibt die FIFA grünes Licht für sechs Spieler. Dadurch verfügte Trainer Albert Bunjaki über eine vollständige Mannschaft. Alles Weitere ist Geschichte. Nachdem die Finnen zum Auftakt ein Tor schießen, verwandelt Valon Berisha, der in der Vergangeheit bereits für die norwegische Nationalmannschaft spielte, in der 60. Minute stilsicher einen Elfmeter. Damit verewigt er Kosovo in den Annalen des Weltfußballs.

Errol Sahilu and Agim Ademi, Generalsekretär bzw Präsident des kosovarischen Verbandes, UEFA-Präsident Aleksander Čeferin und Generalsekretär Theodore Theodoridis
Errol Sahilu and Agim Ademi, Generalsekretär bzw Präsident des kosovarischen Verbandes, UEFA-Präsident Aleksander Čeferin und Generalsekretär Theodore Theodoridis©UEFA.com

Der Kampf um die Anerkennung
In Kosovo gehört das Spiel mit dem runden Leder seit mehr als 100 Jahren zum gesellschaftlichen Leben. Doch mit dem Krieg, dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien und dem ungeklärten Status des Landes fristet der Fußball in Kosovo ein Schattendasein. Am 17. Februar 2008 erklärt sich das Land unabhängig. Im Frühjahr 2008 stellt der Kosovarische Fußballverband (FFK) ein Aufnahmegesuch bei der UEFA und der FIFA. Eine positive Antwort der Dachverbände bleibt aber noch aus, denn das Land wird von einem Teil der Staatengemeinschaft nicht anerkannt. Der Antrag wird abgelehnt, weil er „gegen die FIFA-Statuten verstößt“. Predrag Jović, der derzeitige Vizepräsident des Verbandes, erinnert sich: „Fadil Vokrri hat jahrelang für die Aufnahme gekämpft. Er sah keinen Grund, weshalb den fußballbegeisterten Menschen in Kosovo Steine in den Weg gelegt wurden, und das obwohl sie den Fußball liebten und sich beispielhaft verhielten.“ Im Jahr 2014 erlaubt die FIFA Kosovo, Freundschaftsspiele ohne Flagge und Nationalhymne zu bestreiten. Dem FFK jedoch bleibt die Mitgliedschaft in den beiden Dachverbänden verwehrt. Ein Silberstreif am Horizont erscheint, als anlässlich des UEFA-Kongresses in Budapest am 3. Mai 2016 eine Mehrheit der Mitglieder der Aufnahme der FFK in die UEFA zustimmt. Die FIFA zieht zehn Tage später in Mexiko nach. „Von da an hat sich alles mit enormer Geschwindigkeit zum Positiven gewendet“, bestätigt Eroll Salihu. „Wir konnten unsere Liga aufbauen, an internationalen Wettbewerben teilnehmen, Fernsehrechte vergeben und uns um Mittel der UEFA und der FIFA bemühen.“

Der Fußball platzt aus allen Nähten
Dank der finanziellen Unterstützung kann sich der Verband der Entwicklung der sportlichen Infrastruktur widmen. Darin sieht der FFK eine wahre Herzensangelegenheit. „Hier fehlt es wirklich sehr“, räumt Sanije Krasniqi ein. Die Verantwortliche für den Breitenfußball und stellvertretende Trainerin der Frauen-Nationalmannschaft erklärt: „Viele Vereine haben lange Zeit nur einen Platz für alle Mannschaften gehabt, von den Junioren bis hin zur Superliga“. Für ein Land, in dem das Interesse am Fußball stetig wächst, ist das eine drängende logistische Herausforderung. „Immer mehr Spieler stoßen zu unseren Jugendmannschaften. Im Jahr 2014 waren es noch 150, jetzt sind es mehr als 300 Spieler“, stellt Arton Hajdari fest. Er ist Leiter eines Ausbildungszentrums und U19-Trainer des KF Feronikeli, dem prestigeträchtigen Verein der Stadt Drenas. Die Stadt liegt etwa 20 Kilometer westlich von Pristina. „Wir haben angefangen, neue Plätze zu bauen, damit wir die Nachfrage stemmen können.“

Die Nationalmannschaft von Kosovo, die ihre Spiele bis vor Kurzem in Albanien ausgetragen hat, kann heute im Fadil-Vokrri-Stadion von Pristina spielen.
Die Nationalmannschaft von Kosovo, die ihre Spiele bis vor Kurzem in Albanien ausgetragen hat, kann heute im Fadil-Vokrri-Stadion von Pristina spielen.©FFK

Der Verband hat die Botschaft verstanden. Seit 2016 hat er Arbeiten in den sieben Regionen des Landes in Angriff genommen. „Wir konnten sehr schnell Veränderungen feststellen. 2018 haben wir sechs Kunstrasenplätze gebaut. Sechs weitere Plätze werden demnächst geliefert und damit ist noch kein Ende in Sicht“, erklärt FFK-Vizepräsident Predrag Jović. Für die Nationalmannschaften wird etwa 20 Kilometer von Pristina entfernt ein neues Stadion mit 30 000 Plätzen errichtet. Dessen Bau wurde durch das Sportministerium genehmigt und soll in zwei bis drei Jahren fertiggestellt werden. „Die Nationalmannschaften spielen zurzeit im Fadil-Vokrri-Stadion, das Platz für 13 000 Zuschauer bietet. Die Nachfrage ist jedoch hoch. In dem neuen Stadion können mehr Fans den Spielen beiwohnen. Dadurch werden auch die Einnahmen durch Tickets steigen“, fährt Jović fort.

Die Ausbilder ausbilden
Ziel dieser Arbeiten ist es, langfristig ausreichend Plätze und die richtige Ausstattung zur Verfügung zu stellen, damit die Spieler ihr Potenzial ausschöpfen können. Das erfordert gleichzeitig geschultes Personal. An dieser Stelle kommt der Technische Direktor Michael Nees ins Spiel, der im Rahmen eines internationalen Programms zur Sportentwicklung vom deutschen Außenministerium entsandt wurde. „Wir möchten Ausbildungsstrukturen schaffen und festigen. Dazu gehört, dass wir Trainerteams in Kosovo ausbilden, die sich in absehbarer Zeit um die jungen Spieler kümmern“, erklärt der Ausbilder, der bereits auf den Seychellen und in Ruanda Strukturen entwickelt hat. „In vielen Bereichen hatten wir Nachholbedarf. Wir hatten kein Ausbildungsprogramm für Fitnesstrainer und uns fehlen immer noch Analysten, während große Teams zwei oder drei haben. Aber wir sind auf einem guten Weg und bilden nun Trainerteams aus. Der Schwerpunkt muss auf den Coaches liegen.“ Der deutsche Stratege hat einen Zeitplan für die Entwicklung des Verbands vorgelegt. Er hat vor, dass mit der Unterstützung der UEFA-Ausbilder Trainer mit C-Lizenz, dann B- und schließlich mit A-Lizenz ausgebildet werden. Das ehrgeizige Ziel lautet 500 Trainer bis 2021. Heute gibt es knapp mehr als 120 Trainer.

Der kosovarische Fußballverband investiert in die Zukunft und bildet zahlreiche Trainer aus
Der kosovarische Fußballverband investiert in die Zukunft und bildet zahlreiche Trainer aus©FFK

Sanije Krasniqi ist auf derselben Wellenlänge wie Michael Nees. Bevor sie den verbandseigenen Fußballschulen vorstand, war sie als Ausbilderin und Schiedsrichterin in sämtlichen Altersklassen der Junioren aktiv. Sie ist sich des Potenzials der Spieler im Kosovo bewusst. „Wir haben viele begabte Nachwuchsspieler. Aber es ist in erster Linie der Arbeit der Ausbilder zu verdanken, wenn die Spieler es weit bringen. Wenn wir uns weiterhin anstrengen, haben wir eine vielversprechende Zukunft vor uns“, meint die ehemalige Unparteiische, die auch gleichzeitig als erste Frau des Landes eine Begegnung der Männer in der Superliga gepfiffen hat. „In Kosovo sind 60 % der Einwohner jünger als 30 Jahre. Wir sind ein junger Staat, aber uns fehlen qualifizierte Kräfte. Bis zum Alter von 14 Jahren sehe ich kein akutes Problem, aber nach der Pubertät braucht es kompetente Trainer, um die Spieler auf das höchste Niveau vorzubereiten.“ Gut Ding will Weile haben, doch bei den Junioren kann der Verband bereits die Früchte seiner harten Arbeit ernten. Das Abschneiden der Mannschaften auf internationaler Ebene spricht für sich. Michael Nees zeigt sich zufrieden: „In Sachen Leistungssteigerung in den letzten zwei Jahren sind wir eine der besten Mannschaften der Welt. Die U21 hat im ersten EM-Qualifikationsspiel gegen den amtierenden Weltmeister Deutschland ein Unentschieden erreicht [0:0 im September 2018 in Pristina – Anm. d. Red.]. Die U17 hat sich mit Leichtigkeit für die Eliterunde im März qualifiziert und auch das Ergebnis der U19 kann sich sehen lassen.“

Frauenpower im Fußball
Aber nicht nur der männliche Nachwuchs geht geschickt mit dem Ball um. Die Mädchen im Land sind fußballbegeistert und der Ausbau des Angebots im Frauenfußball wurde mit der UEFA-Mitgliedschaft im Jahr 2016 zu einer Priorität erklärt. Damit die Zahlen stimmen, muss in erster Linie die Vereinsmitgliedschaft der Spielerinnen erleichtert werden. „Manchmal leben die Mädchen in Dörfern, wo sie nicht Fußball spielen können. Sie wissen nicht, an wen sie sich wenden oder wie sie einen Verein finden sollen“, so Valbona Gashi. Sie ist FFK-Verantwortliche des Frauenfußballs und hat das Großprojekt „Recruiting Girls in Football“ ins Leben gerufen, um junge Spielerinnen von 9 bis 12 Jahren für den Fußball zu gewinnen. Diese Initiative wird von der UEFA unterstützt und ist ein Aushängeschild des Verbands. „Wir haben Schulen aus dem ganzen Land eingeladen, an Regionalwettbewerben teilzunehmen. Jede Schule hatte eine oder mehrere Mannschaften und die Sieger konnten sich für das große Finale in der Hauptstadt qualifizieren“, berichtet Valbona Gashi. „Vereinstrainer aus Kosovo und die Trainer der U16- und U19-Nationalmannschaft waren auch dabei, um die Nachwuchsspielerinnen zu beobachten.“ Tausend Mädchen aus 99 Schulen aus dem ganzen Land nahmen teil. Manche von ihnen spielten zum ersten Mal auf dem Platz. „Ich war sehr bewegt“, schildert Valbona Gashi. „Manchmal sah ich Mädchen weinen, wenn sie ein Spiel verloren hatten. Sie waren hoch motiviert. Vielen bereitet der Fußball große Freude. Sie träumen davon, in einem Verein zu spielen oder eines Tages für Kosovo auflaufen zu können.“

Die Entwicklung des Frauenfußballs ist eine Priorität für den kosovarischen Verband.
Die Entwicklung des Frauenfußballs ist eine Priorität für den kosovarischen Verband.©FFK

Die Nationalmannschaft der Frauen hat anlässlich der Qualifikation für die WM 2019 im letzten Jahr ihr erstes Spiel und ihren ersten Wettbewerb bestritten. Im brisanten Auftaktspiel gegen Albanien zeigte sich, dass es ein kein leichtes Unterfangen werden würde. „Es war schwierig und gleichzeitig sehr bewegend“, erinnert sich Salije Krasniqi. „Wir sind mit derselben Flagge aufgewachsen und teilen dieselbe Geschichte... Viele Frauen der albanischen Nationalmannschaft kamen ursprünglich aus dem Kosovo. Und nun sollten wir sie besiegen!“

Ebenso wie bei der Männer-Nationalmannschaft ist auch ein Großteil der Spielerinnen im Ausland aufgewachsen. Die Verbindung zu Familienmitgliedern in ganz Europa, die während des Kriegs das Land verlassen haben, ist weiterhin stark. „Wir fühlen uns unserer Diaspora sehr verbunden. Dafür braucht es keine Beobachter, um Spielerinnen im Ausland abzuwerben“, stellt Sanije Krasniqi klar. „Meistens stehen wir mit unseren Landsleuten, die sich im Ausland für den Fußball engagieren, in engem Kontakt. Das Internet erleichtert den Austausch ungemein.“

Die Nations League: eine Erfolgsgeschichte
Mit Valon Berisha, Benjamin Kololli, Milot Rashica oder Enis Alushi setzt sich die kosovarische Nationalmannschaft aus Spielern zusammen, die im Ausland geboren oder aufgewachsen sind. Ihre Erfahrungen im europäischen Spitzenfußball haben bedeutend zu den jüngsten Erfolgen der Auswahl beigetragen. Nach einem ersten Anlauf für die WM-Qualifikation, in dem die Mannschaft einer schwierigen Gruppe einen Punkt abringen konnte, nahm die Auswahl zuerst bei Freundschaftsspielen Fahrt auf. Das verlieh ihr Rückenwind für die Nations League, in der die Mannschaft Gruppenerster wurde. Entscheidend war dabei der Heimvorteil.

„Vorher bestritten wir unsere Spiele im albanischen Skhodra. Unsere Fans hatten Schwierigkeiten, dorthin zu kommen. Seit der Renovierung des Stadions im Jahr 2017 können wir in Pristina spielen. Das begeistert Spieler und Fans gleichermaßen“, erklärt FFK-Kommunikationsdirektorin Diturie Hoxha. „Gegen die Färöer-Inseln waren alle Plätze innerhalb weniger Stunden verkauft. Es hatten sich so viele Menschen vor dem Stadion versammelt, dass man hätte meinen können, hier werde demonstiert.“

Am 7. September 2018 bestritt Kosovo sein erstes Spiel in der UEFA Nations League. Gegen Aserbaidschan gab es ein Unentschieden (0:0)
Am 7. September 2018 bestritt Kosovo sein erstes Spiel in der UEFA Nations League. Gegen Aserbaidschan gab es ein Unentschieden (0:0)©Getty Images

Die Männer-Nationalmannschaft von Trainer Bernard Challandes ist im Fadil-Vokrri-Stadion unbesiegt und konnte in den letzten zehn Spielen nicht bezwungen werden. „Die Nations League ist ein großer Schritt für uns gewesen. Dank unserer Ergebnisse stehen die Karten doppelt gut, dass wir uns für die EURO 2020 qualifizieren. Das ist unser nächstes Ziel. Ich gehe davon aus, dass wir Gruppenzweiter hinter England werden. Mit den Playoff-Spielen hätten wir eine zweite Chance, uns zu qualifizieren“, betont Predrag Jović. Die Ambitionen des kosovarischen Fußballs sind grenzenlos. Der Verband kommt Schritt für Schritt voran und kann auf die Unterstützung von FIFA und UEFA setzen. Doch auch der Rückhalt all jener im Verband, in den Nationalmannschaften und Vereinen, die sich für den Fußball im Kosovo engagieren, ist entscheidend. „Ich bin seit nunmehr 18 Jahren hier und ich rühre mich nicht vom Fleck, bis wir die Champions League gewonnen haben“, berichtet ein gutgelaunter Isak Smajili, Generalsekretär des KF Feronikeli. Wie sein Freund Freund Elmi wird er die Vergangenheit nie vergessen. Der Fußball aber ist für sie beide eine Chance, nach vorne zu schauen. „Die Region um Drenas wurde in Schutt und Asche gelegt. 80 % der Stadt waren zerstört. Gebäude und Fußballplätze mussten von Grund auf neu gebaut werden... Elmi war jeden Tag da, um dem Verein neues Leben einzuhauchen. Menschen wie ihm haben wir es zu verdanken, dass der KF Feronikeli heute so gut dasteht. Wir sind stolz auf den Verein. Er verspricht eine bessere Zukunft für unsere Stadt.“ In Drenas und anderswo im Kosovo ist der Fußball eben mehr als nur ein Sport.

Dieser Artikel stammt ursprünglich aus UEFA Direct Nr. 183