HSV zurück nach Europa?
Montag, 28. Dezember 2015
Artikel-Zusammenfassung
Der Hamburger SV schaute in den letzten beiden Saisons schon in den Abgrund, rettete sich jeweils knapp in der Relegation. Nun aber scheint eine neue Ära bei den Rothosen angebrochen zu sein.
Top-Medien-Inhalte des Artikels
Artikel-Aufbau
Es ist der 14. Spieltag der laufenden Saison: Nach dem prestigeträchtigen Erfolg des HSV im Nordderby bei Werder Bremen beträgt der Rückstand auf Platz sechs, der die Teilnahme an der Qualifikation zur UEFA Europa-League bedeutet, nur noch ein einziges Tor.
Während die Fans auf der Tribüne schon Europa-Gesänge anstimmen, wollen die Verantwortlichen davon nichts hören. Trainer Bruno Labbadia: "Wir tun gut daran, den Ball weiter schön flach zu halten und nicht wieder in irgendeinen Ankündigungs-Modus zu verfallen."
Orientierung an den eigenen Leistungen, nicht am Tabellenplatz, ist der neue Weg des HSV. Zur Winterpause belegen die Rothosen mit 22 Punkten zwar nur noch Rang zehn, der Rückstand auf den sechsten Platz ist auf vier Zähler angewachsen. Dennoch ist die Frage nach Europa durchaus legitim.
Siege gegen Mönchengladbach und Dortmund, Unentschieden gegen Wolfsburg und Leverkusen, in der Tabelle ganz nah dran an Teams, die die Qualifikation für das internationale Geschäft als klares Ziel ausgegeben hatten und jetzt etwas schwächeln – der HSV scheint sich in dieser Saison reelle Chancen auf Platz sechs ausrechnen zu dürfen.
Vor acht Monaten schien eine solch positive Entwicklung kaum vorstellbar. Der HSV war Tabellenletzter und für viele schon abgestiegen, die katastrophale Bilanz nach 28 Spieltagen: 25 Punkte, 16:43 Tore. Dann kam Labbadia, der HSV erreichte die Relegation gegen Karlsruhe und hielt schließlich – wenn auch mit viel Glück – die Liga.
Ohnehin ist der sportliche Aufschwung des HSV seit April hauptsächlich auf den Fußballlehrer aus Darmstadt zurückzuführen. Die Mannschaft wirkt unter ihm wieder wie eine geschlossene, selbstbewusste Einheit. Vor allem schon abgeschriebene Spieler wie Nicolai Müller, Lewis Holtby und Ivo Iličević blühen auf. Für den Trainer keine Überraschung: HSV zurück nach Europa? "Sie haben den Abstiegskampf erfolgreich bestanden, eine Extremsituation gemeistert. Das war sicher eine große Erfahrung, von der sie jetzt profitieren können."
Auch die Neuen haben besser eingeschlagen als in den vergangenen Jahren. So umstritten die Verpflichtung des bei Bayer Leverkusen suspendierten Emir Spahić auch war, die Abwehr präsentiert sich mit ihm gefestigter. Nach dem 0:5 am ersten Spieltag bei den Bayern musste der HSV keine hohe Niederlage mehr einstecken, kassierte nur noch 18 Gegentore in 17 Spielen (weniger als der BVB) und spielte fünfmal zu null (wie Schalke).
Auch Michael Gregoritsch, der für immerhin drei Millionen Euro vom VfL Bochum kam, erkämpfte sich sofort einen Stammplatz im Mittelfeld der Hanseaten. Drei Tore und eine Vorlage hat der österreichische U-21-Kapitän bisher auf seinem Konto. Dazu wurden vor der Saison mit Heiko Westermann und Rafael van der Vaart zwei vermeintliche Führungsspieler abgegeben, die schon länger nicht mehr an die Leistung vergangener Tage anknüpfen konnten.
Natürlich gab es auch in dieser Spielzeit bereits Rückschläge wie das Aus im DFB-Pokal bei Carl-Zeiss Jena oder die Niederlage im letzten Hinrundenspiel gegen Augsburg, was den Rückblick auf die bisher gezeigten Leistungen etwas trübt. Generell verhinderte die schwache Heimbilanz des HSV mit acht Punkten aus acht Spielen eine noch bessere Ausbeute in der ersten Hälfte der Saison.
Nur 19 erzielte Tore zeugen dazu von einem gewissen Verbesserungsbedarf in der Offensive. Mit Jonathan Tah, der jetzt bei Bayer Leverkusen eine sehr gute Saison spielt, wurde darüber hinaus eines der viel versprechendsten Talente des Vereins verkauft. Außerdem ist die finanzielle Situation nach Jahren des Abstiegskampfs und ständigen Personalwechseln angespannt.
Aus diesen Gründen will sich Labbadia auch nicht mit der Chance auf die Qualifikation für Europa beschäftigen, sondern vor allem damit, Vwieder mehr Substanz und Stabilität in den Laden zu bringen. Im Abstiegskampf hat der HSV unglaubliche Kraft entwickelt. Es wäre schön, wenn wir diese PS dauerhaft auf die Straße bekämen."
Mit dem neuen Kollektiv, einer gewissen Bescheidenheit und der nötigen Gelassenheit soll genau das gelingen. Wird dabei die Heimschwäche in der Rückrunde abgestellt und hinken andere Mannschaften den eigenen Ansprüchen weiterhin etwas hinterher, könnten die Gegner des HSV dann sogar bald wieder Kopenhagen und Kiew statt Karlsruhe heißen.