Grichting – ein Chef ohne Allüren
Freitag, 5. Oktober 2012
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Trubel um seine Person ist ihm zwar fremd, dem Lob der Fußball-Schweiz kann er sich derzeit aber nicht entziehen: Stéphane Grichting schwingt sich beim Grasshopper-Club zum Leader auf.
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Wer den Fußballer Stéphane Grichting beschreiben will, stößt unweigerlich auf folgende Attribute: zuverlässig, solide, unauffällig. Die Aufzählung ließe sich beliebig verlängern. Und vielen galt der Schweizer Innenverteidiger daher als Spieler, der tut, was man von ihm verlangt, dem es nichts ausmacht, wenn sich kaum ein Journalist oder Fan um ihn schert.
Das war in den zehn Jahren bei AJ Auxerre in der Ligue 1 so, und auch in seinen 45 Spielen für die Schweizer Nationalmannschaft geriet er selten ins Schlaglicht. Nach Partien hieß es oft: "Grichting? Hat gespielt, wie Grichting eben spielt – unspektakulär." Hervorgehoben wurden andere. Dass dies so war, überrascht ihn noch immer nicht: "Ich bin ja auch nicht der beste Verteidiger von Europa", sagt über sich, als wolle er einen rhetorischen Beweis für seine Bescheidenheit liefern.
Inzwischen hat sich einiges getan: Seit Anfang dieser Saison verteidigt Grichting für den Grasshopper-Club – und plötzlich erfährt er als 33-Jähriger die Anerkennung, die er zwar nie gesucht, wohl aber längst verdient hat. GC ist Zweiter der Super League, hat erst ein Spiel verloren und zuletzt sechsmal zu null gewonnen. Vergangenes Jahr entrann der Rekordmeister mit 66 Gegentoren dem Abstieg nur deshalb, weil Xamax Neuchâtel FC zwangsrelegiert und der FC Sion mit einem 36-Punkte-Abzug bestraft wurde. Nun erstrahlt GC fast im alten Glanz – und Grichting hat einen großen Anteil daran.
Kaum einen Zweikampf verliert der Abwehrchef, ob am Boden oder in der Luft, und nicht selten korrigiert er Fehler seiner Nebenleute kommentarlos. Er tritt auf wie ein Leader; er schafft es, anderen zu helfen, ohne dabei die eigene Aufgabe zu vernachlässigen und ohne die geringsten Allüren zu zeigen.
"Sahnehäubchen" der sommerlichen Transferbemühungen hatte ihn GC-Trainer Uli Forte zunächst genannt und ihn sogleich zum Kapitän bestimmt. Nun sagt er: "Grichting ist der absolute Chef, auf und neben dem Platz." Linksverteidiger Daniel Pavlovic, einer, der besonders von Grichting profitiert, beschreib seinen Einfluss als "enorm".
Der Gelobte selber äußert sich nüchtern: "Ich muss die Jungen führen, die Abwehr organisieren, damit wir insgesamt besser verteidigen. Schließlich bin ich 33 Jahre alt und habe über 300 Spiele in der Ligue 1 gemacht. Da ist das nichts Außerordentliches. Ich mache einfach meinen Job, und dafür werde ich bezahlt."
Nicht selten wird er gefragt, weshalb er sich ausgerechnet für GC entschieden habe – er, der an den FIFA-Weltmeisterschaften 2006 und 2010, der UEFA EURO 2008 oder in der UEFA Champions League internationale Fußball-Luft schnupperte. "GC ist der berühmteste und erfolgreichste Club der Schweiz. Er ist daran, sich zu stabilisieren, und ich bin glücklich, wenn ich einen Beitrag dazu leisten kann", sagt er. Gewisse Gedanken habe er sich gemacht, gibt er zu; es sei vielleicht ein gewisses Risiko gewesen, zu einem Klub zu kommen, der schwere Zeiten hinter sich habe –aber, urteilt er, "bislang hat es sich ja gelohnt".
Allerdings folgte nun ein kleiner Nackenschlag, denn Grichting hat sich beim 1:0-Sieg gegen den FC St. Gallen am vergangenen Wochenende das vordere Außenband am rechten Sprunggelenk gerissen und muss rund vier Wochen pausieren. Er verpasst damit zwei Meisterschaftsspiele der Grasshoppers, die ihn dabei sehnlichst vermissen und auf seine baldige Genesung hoffen werden.