Alles ist anders
Montag, 20. Dezember 2010
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Die Bundesliga-Hinrunde 2010/11 wirbelte das etablierte Gefüge der Vereine mächtig durcheinander. Zum Ende der Halbserie jedoch zeigten sich einige etablierte Vereine erstarkt - hat die Aufholjagd begonnen?
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Die Hinrunde der Bundesliga-Saison 2010/11 ist vielleicht die überraschendste bisher in der 47-jährigen Geschichte der deutschen Elite-Liga. Dass es jedes Jahr ein, zwei Mannschaften gibt, die positiv wie negativ überraschen, ist nicht außergewöhnlich – dass aber die halbe Liga durcheinandergewirbelt wird, wie es zwischen August und Dezember 2010 der Fall war, darf als ungewöhnlich bezeichnet werden.
Da wäre der souveräne Tabellenführer Borussia Dortmund, der zehn Punkte Vorsprung auf den zweiten Platz genießt. Dabei war ein weiteres Umbruchjahr ausgerufen bei den Schwarz-Gelben, da die Mannschaft noch einmal verjüngt wurde. Doch die Talente drehten mächtig auf, verloren nur am 1. und 17. Spieltag und holten dazwischen 14 Siege und ein Remis. Spieler wie Mario Götze (18), Kevin Großkreutz (22), Mats Hummels (22) und Marcel Schmelzer (22) absolvierten 2010 ihr erstes Länderspiel. Bei dem gebotenen Power-Fußball des BVB ist es vielleicht nicht ganz überraschend, dass den Westfalen in der UEFA Europa League am Ende die Kraft ein wenig fehlte, so dass man nach der Gruppenphase ausschied. "Insgesamt gesehen, denke ich aber, dass wir eine sehr erfolgreiche und sehr lehrreiche Hinrunde gespielt haben, die voller Highlights war", sagt Mittelfeldstratege Nuri Şahin.
Noch mehr Verblüffung als der Gipfelsturm der Klopp-Elf rief aber der 1. FSV Mainz 05 hervor, der mit seinem Trainer Thomas Tuchel mit sieben Siegen in die neue Saison gestartet war und den oft herbeigeredeten Einbruch nie so richtig erlitt. Zwar gab es ein kleines Zwischentief, doch am Ende des Jahres grüßen die Rheinhessen vom zweiten Tabellenplatz. Als "Verfolger" des BVB sieht man sich in der Karnevalshochburg, wo man eine gelungene Mischung aus routinierten Spielern in der Defensive und hochtalentierten jungen Akteuren in der Offensive geschmiedet hat, dennoch nicht. Tuchel, der die ganze Hinrunde über mächtig rotierte und so jedem Spieler das Gefühl geben wollte und wohl auch konnte, ein wichtiger Bestandteil des Teams zu sein, sagte: "In 17 Begegnungen haben wir 33 Punkte geholt. Das sind fast zwei Zähler im Schnitt, eine sehr gute Quote. Meine Jungs haben jedes Spiel angenommen, als wäre es das letzte. Nur so konnten sie Top-Leistungen bringen."
Doch es sind nicht nur die beiden Erstplatzierten, die für Verwunderung sorgen konnten: Im Kielwasser schwimmen Hannover 96 auf Rang vier, der SC Freiburg (6.), Eintracht Frankfurt (7.) und die TSG 1899 Hoffenheim (8.). Bei all diesen Klubs ist eine seriöse Personal- und Trainerpolitik gefahren worden, was sich am Ende auch auszahlen sollte. In Hannover etwa wurde man nach dem Pokal-K.o. in der ersten Runde beim viertklassigen SV Elversberg nicht nervös, sondern vertraute auf Trainer Mirko Slomka, während von Eintracht Frankfurt trotz vier Niederlagen in den ersten fünf Spielen kaum Misstöne zu hören waren. Das half dabei, die große Ordnung der Bundesliga zumindest für eine Halbserie aus dem Gleichgewicht zu heben.
Etat- und/oder Zuschauergiganten wie der Hamburger SV, der VfL Wolfsburg oder der SV Werder Bremen sind im grauen oder gar unteren Mittelfeld zu finden. Die teueren, mit Stars gespickten Kader, funktionieren nicht wie erhofft. Der VfB Stuttgart, der in der UEFA Europa League äußerst souverän glänzte, findet sich gar auf dem vorletzten Rang der Tabelle wieder und zog zwei Mal die Reißleine: Im Oktober folgte der bisherige Co-Trainer Jens Keller auf Christian Gross, musste aber nun im Dezember seinen Stuhl bereits wieder für Bruno Labbadia räumen.
Die zwei absoluten Schwergewichte der letzten Saison, der FC Bayern München und der FC Schalke 04, erlitten beide jeweils einen Fehlstart ungeahnten Ausmaßes in die neue Spielzeit. Für Bayern war es gar der schlechteste der ganzen Bundesligageschichte, egal ob es nun an den zahlreichen WM-Teilnehmern, dem Verletzten Superstarduo Franck Ribéry und Arjen Robben oder einfach nur etwas Sattheit nach dem Double-Gewinn im letzten Jahr lag. Bei Schalke dauerte es lange, bis der Umbau der Mannschaft mit 13 Neuzugängen so halbwegs vollendet war, doch gegen Ende der Hinrunde ist ein deutlicher Aufwärtstrend zu erkennen: In der UEFA Champions League wurde das Achtelfinale erreicht und in der Bundesliga sind die Europapokalplätze wieder in Reichweite. Beim FC Bayern haben sie Stürmer Mario Gomez (12 Hinrundentreffer) neu entdeckt und zum Ende der Halbserie den fünften Platz blockiert – der bisher beste in der ganzen Saison.
Ist also nach der Revolution der Spieltage 1-17 für die Rückrunde, die schon am 14. Januar beginnt, die Restauration angesagt? Einiges, wie die zuletzt starke Form der Schalker und Bayern, deutet darauf hin. Kampflos, soviel ist sicher, werden die etablierten Kräfte ihre Position nicht räumen.