Mainz, wie es singt und lacht
Freitag, 24. September 2010
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Mainz 05 ist das Überraschungsteam der noch jungen Saison. Fern von den typischen Lobeshymnen die nun einprasseln, lohnt ein genauer Blick auf die Hintergründe des Erfolges und die Ziele des Vereins.
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Es ist eine der Geschichten, die den Fußball so schön und unberechenbar machen. Das 2:0 gegen den 1. FC Köln am vergangenen Dienstag war gerade seit wenigen Minuten Geschichte, und die Mainzer Mannschaft versammelte sich lachend, in Anspielung auf den ersten Tabellenplatz mit einer überdimensionalen "Eins" im Arm, vor den singenden und feiernden Fans. Wer hätte schon damit gerechnet, dass der 1. FSV Mainz 05, der selbst ernannte Karnevalsklub, einmal mit perfekter Bilanz die Tabellenspitze zieren würde?
Sicher, es sind erst fünf Spieltage gespielt, und vor zwei Jahren noch wurde die TSG 1899 Hoffenheim mit erfrischendem Offensivfußball zum Maß aller Dinge erklärt, wurde Herbstmeister und landete am Ende auf Rang 7. Nun nimmt also Mainz den Status des Überraschungsteams ein. Mit größter Wahrscheinlichkeit werden die Rheinländer nicht Meister und vermutlich werden sie nicht einmal den Europapokal erreichen. Das wissen sie auch selber. "Wir träumen nicht von Europa, oder werden nach dem ersten Tabellenplatz schielen", sagte Mainz-Manager Christian Heidel und umreißt die Vereinsphilosophie ganz klar. "Wir werden versuchen, uns mit dem neuen Stadion wirtschaftlich so aufzustellen, dass wir eine Chance haben, Bundesliga zu spielen. Für uns ist es wichtig, dass die Leute erkennen, dass der Verein eine Entwicklung durchläuft. Und das machen wir jetzt seit zehn bis 15 Jahren."
Der genaue Blick auf das kleine Mainzer Wunder lohnt also. Wie so oft, wenn der Erfolg sich einstellt, ist der das Zusammenkommen mehrerer Faktoren. Da ist einmal die unaufgeregte, seriöse und von Kontinuität geprägte Führungsriege in der Hauptstadt von Rheinland-Pfalz. Manager Heidel ist seit fast 20 Jahren in dieser Funktion tätig, bis 2006 sogar ehrenamtlich, während Präsident Harald Strutz seit 1988 im Amt ist – beide haben um sich herum ein ganzes Team von Offiziellen aufgebaut, das ähnlich wie sie strukturiert ist.
Der nächste Mosaikstein folgte mit der Installation von A-Jugend-Coach Thomas Tuchel als Cheftrainer noch vor Beginn der Bundesligasaison 2009/10. Zuerst als Klopp-Imitat wahrgenommen, hat der Schwabe längst ein eigenes Profil entwickelt, als ein akribischer Arbeiter, der seine Spieler in Entscheidungen mit einbezieht und sie intensiv an seinem Spielsystem arbeiten lässt. "Er hat einen überragenden Fußballsachverstand, gepaart mit der ausgeprägten Fähigkeit der Kommunikation mit den Spielern. [Er gibt] den Jungs ein taktisches Konzept. Und ganz wichtig ist: Sie wissen, wo sie hinlaufen und warum sie da hinlaufen sollen", beschreibt Heidel.
37 Jahre jung ist Tuchel und damit in der Bundesliga der Jüngste seiner Zunft. Unaufgeregt erklärt er selber die Gründe des Erfolges. "Mir kommt zugute, dass ich neun Jahre lang wertvolle Erfahrung in den verschiedensten Nachwuchsleistungszentren gesammelt habe", so Tuchel. Dass er gut mit jungen Spielern arbeiten kann, ist zwingend notwendig für Mainz. Denn um einige gestandene Recken wie Nikolče Noveski, Bo Svensson und Miroslav Karhan herum geben Nachwuchskräfte wie Lewis Holtby, Eugen Polanski oder André Schürrle den Ton an. Der Letztgenannte entsprang der eigenen U19 und wurde unlängst zur neuen Saison an Bayer 04 Leverkusen veräußert. Die Mainzer Politik sieht klar vor, als Ausbildungsverein junge Spieler auf die nächste Stufe zu heben und sie dann gewinnbringend zu veräußern.
Da ist es nur logisch, dass man sich eines Trainers bedient, der die Arbeit mit jungen Spielern kennt. Ungewöhnlich ist, dass dieser Thomas Tuchel sich für jeden Gegner einen speziellen Plan ausdenkt und dann auch schon einmal seine Mannschaft komplett umkrempelt, obwohl diese im letzten Spiel überzeugend gewann. Die meisten Teams heutzutage wollen ihr Spiel nicht am Gegner ausrichten. Darum geht es auch nicht wirklich, erklärt Tuchel: "Wir wollen diesen Mut haben, auf Spieler zu setzen, die bei einem Spiel mit ihren Fähigkeiten besonders gut zu unseren Aufgaben passen. Jeder Spieler hat es dann verdient aufzulaufen, jeder erhält seine ganz spezielle Aufgabe."
Der Erfolg kommt nicht von ungefähr. Er deutete sich schon letzte Saison an, als die Mainzer als Aufsteiger völlig ungefährdet als Neunter die Saison beendeten. Wohin führt der Weg? Ex-Autohändler Heidel hat einen typisch pragmatischen Vergleich parat: Anstelle eines "Kleinwagens" innerhalb der Bundesliga wolle man bald einen "Mittelklassewagen" darstellen.