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Ein Charakterkopf geht

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Mit Jens Lehmann verliert der deutsche Fußball einen Charakterkopf. Der Schlussmann des VfB Stuttgart beendet am Samstag seine aktive Karriere im Alter von 40 Jahren.

Ein Leiser war Jens Lehmann nie
Ein Leiser war Jens Lehmann nie ©Getty Images

Der moderne Profi ist geschult in der Außendarstellung; er gibt glatte, freundliche und meist nichtssagende Sätze von sich und versucht, die Tretminen der Öffentlichkeit zu meiden. Jens Lehmann war da immer ganz anders – in positiver wie negativer Hinsicht.

Der 40-Jährige, der auch zuletzt noch auf hohem Niveau für den VfB Stuttgart zwischen den Pfosten stand und am Samstag bei der TSG 1899 Hoffenheim eine anfänglich verkorkste Saison seiner Elf doch noch mit dem Einzug in die UEFA Europa League abschließen kann, hat eine ereignisreiche und an Konflikten wahrlich nicht arme Karriere hinter sich. Zudem scheute er sich auch nie, in der Öffentlichkeit seine Meinung zu sagen – unabhängig davon, ob diese populär war oder nicht.

Seine sportliche Karriere ist für einen Torhüter seiner Klasse keine ganz ungewöhnliche: Mit dem FC Schalke 04 stieg er von der 2. Liga in die Bundesliga auf und avancierte im Elfmeterschießen der "Eurofighter" im Endspiel-Rückspiel des UEFA-Pokals 1997 zum Matchwinner gegen den FC Internazionale Milano. 1998 zog es ihn für fünf Spiele zum AC Milan, bevor er zurück nach Deutschland zum BV Borussia Dortmund wechselte und dort 2002 die deutsche Meisterschaft feierte. "Meine beste Zeit" – so sagte er es selbst – erlebte er zwischen 2003 und 2008 bei Arsenal FC. Im ersten Jahr unter Arsène Wenger war gleich die Meisterschaft fällig, und auch wenn er zwischendrin seinen Stammplatz an den Spanier Manuel Almunia verlor, konnte er ihn doch zurückerobern. Tragischer Höhepunkt seiner Zeit mit den Gunners war das verlorene UEFA-Champions-League-Endspiel 2006 gegen den FC Barcelona, als Lehmann der erste Spieler überhaupt wurde, der in einem Finale der Königsklasse mit Rot vom Feld musste.

In der Nationalmannschaft hielt sein Duell mit dem favorisierten Oliver Kahn vor der FIFA-WM 2006 im eigenen Land Medien und Fans in Atem. Am Ende hatte Lehmann die Nase gegenüber dem Bayern-Keeper vorn und avancierte im Achtelfinale gegen Argentinien zum Helden im Elfmeterschießen.

Doch es ist nicht so sehr das Sportliche, das seine Karriere geprägt hat. Jens Lehmann wird den Fans auch immer in Erinnerung bleiben als Ewiger-Kahn-Duellant; Schuh-aufs-Tornetz-Werfer; der Mann mit überflüssigen Roten Karten; der erste Torwart, dem ein Feldtor in der Bundesliga gelang; Hubschrauber-ins-Training-Flieger; Mit-der-S-Bahn-aus-dem-Stadion-Heimfahrer; Brillen-Abnehmer und Nemesis der Balljungen der Saison 2009/10 – mit anschließender Versöhnung im Aktuellen Sportstudio. Gerade dieses letzte Kapitel seiner Eskapaden mit den Balljungen zeigt ein bisschen den komplizierten Charakter Lehmanns.

"Dass mein Verhalten mitunter als komisch wahrgenommen wird, damit kann ich leben. Auf dem Platz denke ich nicht groß darüber nach, was toll aussieht, sondern nur daran, dass ich Erfolg haben will", heißt es einerseits von ihm. Da wird der freche Balljunge schnell mal als Anlass zur generellen Gesellschaftskritik genommen, um ihn dann später verzeihend in den Arm zu schließen. Christian Gross, obwohl erst seit Winter der Trainer dieses außergewöhnlichen Torwarts, hat richtig erkannt: "Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit zeichnen ihn aus, er ist ein sehr sensibler Mensch, der sich seine eigene Gedankenwelt aufgebaut hat. Wir verlieren eine große Persönlichkeit und einen topseriösen und hochprofessionellen Torhüter."

Wer ein längeres Gespräch mit Lehmann führt, stellt fest, dass der gebürtige Essener über ein gesundes Selbstbewusstsein verfügt, das schnell auch an Arroganz grenzen kann oder gern als solche ausgelegt wird. Doch Lehmann war auch immer jemand, der mit intelligenten Aussagen und Analysen aufwartete, wenn er die Chance dazu erhielt. Die oft mehr oder weniger leise mitschwingende Ironie seiner Statements, oft garniert mit einem wohlwollenden leichten Grinsen, ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Zum Abschluss erwischte es noch einmal Manuel Neuer. "Ich mag ihn sehr. Manuel Neuer hat großes Potential. Er wird ein sehr guter Torwart werden", hieß es über den deutschen WM-Torhüter.

Lehmanns Lieblingsgegner Oliver Kahn hatte einst gemeint, dass man auf der einsamen Torhüterposition ein überdurchschnittliches Selbstbewusstsein brauche. Dass es Lehmann an diesem auch zum Karriereende nicht mangelt, unterstreicht er mit einer kürzlich getroffenen Aussage: "Ich wollte als bester Torhüter aufhören. Ich denke, das habe ich geschafft."

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