Der ewige Jupp Heynckes

Als im Juli 2008 Jürgen Klinsmann das Kommando beim FC Bayern München übernahm und mit seinem gefühlt dreißigköpfigen Trainerstab das Trainingszentrum an der Säbener Straße sofort von Grund auf erneuerte, schien eine neue Epoche im deutschen Fußball anzubrechen. Eine Bibliothek und mehrere Buddhas, ein Kinosaal und mehrere Konferenzdolmetscher sollten dem Traditionsverein aus München den Weg in Europas Bel Etage endgültig ebnen. Der Anspruch Klinsmanns, dank individueller Sportdiagnostik jeden Spieler jeden Tag ein bisschen besser zu machen und seine Mannschaft auch fernab des Fußballs geistig zu formen, kann als Antithese zu Heynckes' Fußballverständnis begriffen werden. Im Januar 2007 hatte sich dieser nach einem kurzen Intermezzo beim VfL Borussia Mönchengladbach endgültig in den Ruhestand verabschiedet. Endgültig?

Hoeneß' schwerster Fehler
Uli Hoeneß hat die vormalige Entlassung des Trainers Heynckes im Jahr 1991 als "seinen schwersten Fehler" bezeichnet. Vielleicht war er auf Wiedergutmachung aus, als er im Frühjahr 2009 die Notbremse zog und mit dem Rauswurf Klinsmanns während der Rückserie den Beginn einer Ära der Fußballmoderne im Keim erstickte. Wenn moderne Tendenzen klassisch-traditionellen Werten weichen müssen, wird gerne von einer Renaissance gesprochen.

Renaissance
Die Rückkehr Heynckes' in die Bundesliga kann sehr wohl als Renaissance des deutschen Fußballs verstanden werden. Die drei Führenden der Bundesliga – der FC Schalke 04, Bayer 04 Leverkusen und die Bayern – haben alle eines gemeinsam: Trainer, deren oberste Priorität Disziplin ist und deren Mannschaften sich mehr über Kondition denn über Vertikalfußball definieren.

Außergewöhnlicher Spieler und Trainer
Der 1945 geborene Jupp Heynckes hat schon als Spieler Außergewöhnliches geleistet und in den 1970er Jahren den deutschen Fußball maßgeblich geprägt. Vier Mal wurde er mit Borussia Mönchengladbach während der Jahre 1971 und 1977  Deutscher Meister. Der DFB-Pokal 1973, der UEFA-Pokal 1975, die UEFA-Europameisterschaft 1972 und die FIFA-Weltmeisterschaft 1974 sind weitere Meilensteine seiner Vita.

Resultate statt großer Worte
Der zweifache Torschützenkönig galt schon zu aktiven Zeiten als ruhiger und differenzierter Spieler, der statt großer Worte Ergebnisse für sich sprechen ließ. Auch als Trainer fällt er weder heute noch damals als Person der exponierten Gesten auf. Ruhe in der Sache und Klarheit in der Umsetzung haben ihn über Jahrzehnte hinweg zur Instanz reifen lassen. Mit der Herbstmeisterschaft Leverkusens 2009 unterstreicht Jupp Heynckes einmal mehr, dass mit tradierten Werten wie Gelassenheit und Disziplin auch heute noch Erfolge zu verbuchen sind.

Leverkusens und Heynckes' Rekord
In der Bundesliga ist Heynckes mittlerweile seit 22 Spieltagen ungeschlagen. Sein persönlicher Rekord ist auch ein Beweis für die Konstanz seiner Mannschaft, die mit neun Siegen und acht Unentschieden in dieser Saison den Platz noch nicht als Verlierer verlassen musste – ganz abgesehen vom phänomenalen Schlussspurt der letzten Saison mit dem FC Bayern München. Vier Siege und ein Unentschieden unter seiner Regie sicherten seinem Nachfolger Louis van Gaal auf der Bayernbank die Teilnahme an der UEFA Champions League.

Neues Selbstvertrauen
Nicht nur am Tabellenplatz zeigt sich, mit welcher Intention bei Bayer 04 gearbeitet wird. Unter Heynckes zeigt die Mannschaft neues Selbstvertrauen. Stefan Kießling erlebt gerade seinen endgültigen Durchbruch, hat zur Winterpause bereits zwölf Tore auf seinem Konto und Toni Kroos, Leihgabe des FC Bayern München, zeigt auf dem Platz, welches Offensivpotenzial in ihm schlummert. Wenn Heynckes seine persönliche "Unschlagbar"-Serie in die Rückrunde hinein retten kann und mit Leverkusen erstmalig die Schale holen sollte, hat die Renaissance im deutschen Fußball endgültig Schule gemacht.