Haller spricht offen über seine Krebserkrankung
Donnerstag, 13. Oktober 2022
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Sébastien Haller, Stürmer bei Borussia Dortmund, der sich derzeit einer Hodenkrebsbehandlung unterzieht, spricht offen über seinen Zustand und wendet sich damit auch an Menschen in einer ähnlichen Situation.
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Als Kind hatte Sébastien Haller seine Mutter davon überzeugt, den Judogürtel an den Nagel zu hängen. Seitdem ist der Fußball Dreh- und Angelpunkt in Hallers Leben.
Zunächst sollte der Sport für ihn eine Ablenkung von der harschen Lebensrealität in den Pariser Vororten sein. Später wurde das runde Leder seine Leidenschaft und zuletzt auch sein Beruf. Nach erfolgreichen Stationen in Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und England erreichte die Karriere des Stürmers in diesem Sommer ihren vorläufigen Höhepunkt, als ihn die Borussen unter Vertrag nahmen. In der abgelaufenen Saison hatte der Franzose mit Ajax Amsterdam die niederländische Meisterschaft gewonnen. Doch bevor er überhaupt ein Spiel in Schwarz-Gelb bestreiten durfte, erhielt er eine Diagnose, die nicht nur einen Einschnitt in seiner Karriere, sondern auch in seinem Leben bedeutet.
Als er vor Saisonbeginn die medizinische Kontrolle bei seinem neuen Klub durchlief, wurde ein Tumor entdeckt, nachdem er bereits kurz zuvor krankheitsbedingt nicht für die ivorische Nationalmannschaft auflaufen konnte, deren Trikot er sich aufgrund der Herkunft seiner Mutter überstreifen darf.
Haller hegt den Wunsch, schon bald zum Fußball zurückzukehren – der 28-Jährige pflegt einen offenen Umgang mit seiner Diagnose und der aktuellen Behandlung; Menschen in einer ähnlichen Situation möchte er wertvolle Ratschläge mit auf den Weg geben.
Der Sommer hätte nicht besser starten können: Mit Ajax haben wir die Meisterschaft gewonnen und kurz darauf ging es für mich in die Ferien. Wir haben meinen Geburtstag und die Taufe meiner Nichte gefeiert. Es war ein rundum schöner Urlaub. Außerdem stand mein Transfer an – es passierten gerade sehr viele positive Dinge in meinem Leben. Dortmund hatte viel Geld in mich investiert. Deshalb war ich fest entschlossen zu zeigen, was ich kann und wollte einfach loslegen. Doch von einem Tag auf den anderen änderte sich alles.
Es begann, wenn ich mich richtig erinnere, mit Magenschmerzen, als ich am 31. Mai mit der ivorischen Nationalmannschaft unterwegs war. Drei oder vier Tage lang nahm ich Medikamente ein. Dadurch verschwanden die Schmerzen, doch kurz darauf fühlte ich mich wieder schlecht, als ob ich eine Grippe hätte. So war ich während der ganzen Zeit mit der Nationalmannschaft krank. Zuhause ging es mir dann wieder etwas besser, aber seit dieser Episode hatte ich leichte Schmerzen etwas unterhalb des Magens, hinten im Bauch. Es war ärgerlich, aber nicht wirklich schmerzhaft. Manchmal hatte ich Verdauungsprobleme und fühlte mich aufgebläht.
Da ich im Urlaub war, dachte ich, dass diese Schmerzen wieder aufhören würden, doch das war einfach nicht der Fall. Ich fing an, mich zu fragen, ob es ein Leistenbruch oder etwas in der Art sein könnte und bat meinen Osteopathen, dem Ganzen auf den Grund zu gehen.
In dieser Zeit war ich mehrmals in Dortmund und noch immer der Meinung, dass es nichts Ernstes sei, aber die Schmerzen blieben. Mein Osteopath sagte mir, ich solle ein Ultraschall machen lassen, da es ein Leistenbruch oder etwas Ähnliches sein könnte.
Zur Saisonvorbereitung ging es für mich dann mit dem BVB in die Schweiz zum Trainingslager. Ich bat um eine Kontrolle und fünf Minuten später war die Sache erledigt. Ich fühlte einen gewissen Druck in meinem Bauch, also beschlossen wir, am nächsten Morgen ein MRT machen zu lassen. Unmittelbar danach wurde mir gesagt, dass man einen Tumor gefunden hätte, allerdings sei noch nicht ganz klar, ob gut- oder bösartig. Ich ging zum Training und als ich zurückkam, meinte man zu mir, dass ich eine zweite Meinung eines Urologen einholen solle.
Er hat etwa zehn Sekunden gebraucht, um mir zu bestätigen, dass es ein Tumor war. Er griff zum Ultraschallbild und legte es auf meine Hoden. In dem Moment hatte sich der Verdacht bestätigt. Dann ging alles extrem schnell: Wir mussten herausfinden, um was für eine Art von Tumor es sich handelte, wie groß er war, und ob sich Metastasen an anderen Stellen gebildet hatten – das war bereits geschehen.
Danach mussten wir mit der Behandlung beginnen, die OP organisieren und viele Leute in meinem Umfeld informieren – in den ersten Tagen gab es so viel zu bedenken.
Als Haller die schlechte Nachricht erhielt, nahm er sich die Zeit, die Diagnose und Behandlung zu verstehen. Er wollte wissen, wie er wieder gesund werden und zum Fußball zurückkehren könne.
Sofort wurde mir klar: Diese Behandlung, aber auch die Rückkehr zu alter Form werden Zeit in Anspruch nehmen. Und es gibt Dinge, die ich beherrschen oder richtig angehen muss. Ich denke, Ernährung und Training sind wichtig, um körperlich und geistig gesund zu bleiben.
Mit meiner Frau habe ich gescherzt, dass ich leider erst erkranken musste, um ein Experte in Sachen Krebs zu werden! Ich weiß alles über die Krankheit, einfach alles. Zum Beispiel, in welchem Stadium sich der Krebs befindet. Aber wenn man persönlich betroffen ist, versucht man natürlich, sich im Netz ausführlich zu informieren. Man verbringt seine ganze Zeit damit, mehr über diese Krankheit und über den eigenen Krebs zu erfahren.
Ich werde jeweils fünf Tage am Stück stationär behandelt. Im Krankenhaus bin ich dann rund um die Uhr an Geräte angeschlossen. Während der Behandlung kann ich das Bett nicht verlassen. Danach ruhe ich mich zwei Wochen aus. Das ist ein Zyklus, doch das ganze Prozedere muss ich viermal durchlaufen. Das heißt insgesamt vier Chemotherapie-Zyklen, die jeweils drei Wochen dauern. Je nachdem, wie mein Krebs sich entwickelt und ausbreitet, muss ich mich operieren lassen. Viele fragen mich, wann ich denn wieder auf dem Platz stehe, aber es müssen so viele Dinge berücksichtigt werden. Da gibt es keine einfache Antwort.
Ich habe schon das große Glück, dass ich mich gut fühle. Ich kann körperliche Anstrengungen auf mich nehmen. Geistig und körperlich fühle ich mich wohl. Das hilft natürlich beim Kampf gegen diese Krankheit.
Und ich habe einen Zeitplan vor Augen. Wenn ich nicht operiert werden muss, und das wäre ein großes Glück, könnte es sogar recht schnell gehen. Drei Wochen nach dem letzten Zyklus wird geschaut, wie sich die Metastasen entwickelt haben und ob eine OP erforderlich ist. Wenn ich nicht operiert werden muss, denke ich, dass ich nach diesen drei Wochen in guter Verfassung sein sollte. Auch angesichts meines Trainings.
In dieser Auszeit vom Fußball hatte Haller auch Zeit zu verstehen, wie viel Glück er bisher im Leben hatte.
All diese Erfahrungen und Menschen in meinem Umfeld machen mir tagein, tagaus klar, welches enorme Glück ich habe, ein solches Leben führen zu dürfen.
Gleich zu Beginn der Krankheit habe ich zu mir gesagt: „Okay, es ist mir passiert. Jetzt werde ich alles tun, damit es mir geistig und körperlich gut geht.“
Als Kind hatte ich alles und musste mir nie wirklich Sorgen machen. Das ist die erste große Probe in meinem Leben, aber es gibt Menschen, die sich solchen Situationen von Anfang an stellen müssen. Mich hat es zum Glück erst später im Leben getroffen. Ich kann mich also nicht beschweren.
Es gibt immer jemanden, den es härter trifft, und manchmal muss man die Dinge in einem größeren Zusammenhang betrachten.
Ich versuche immer, das Positive zu sehen. Klar, all diese Dinge sind mir passiert, aber ich kann jetzt zum Beispiel Zeit mit meinen Kindern verbringen. Das sind unbeschwerte Momente, die ich nicht einfach außer Acht lassen kann.
Haller hat auch eine Botschaft für andere junge Männer, die um ihre Gesundheit besorgt sind oder Ähnliches durchleben.
Ich schätze mich glücklich, schon drei Kinder zu haben. Ich bin verheiratet und habe im Fußball so einiges erreicht. Vielen Menschen geht es sicher deutlich schlechter als mir. Es gibt nicht mehr viel, was ich in meinem Alter beweisen müsste, aber diese Krebserkrankung betrifft junge Männer. Männer, die vielleicht noch keine Liebe gefunden haben, die keine Kinder haben oder noch versuchen, ihren Körper und Geist zu verstehen. Oft bauen sie gerade erst eine Existenz auf. Die Krankheit kann diese Menschen aus der Bahn werfen.
Sie kann ihr Selbstvertrauen erschüttern und natürlich ihr Sexualleben beeinträchtigen. Wir müssen einen Teil von uns, von unserer Männlichkeit aufgeben. Das steckt man nicht so leicht weg. Aber manchmal braucht es eben etwas Weitsicht und man sollte sich auf die Schulter klopfen, denn man hat eine echt schwere Zeit überstanden. Darauf kann man stolz sein. Auf diese Narbe am eigenen Körper muss man sogar stolz sein. Sich selbst sollte man sagen, dass es nichts gab, was man hätte tun können, um das zu verhindern.
Es ist eine Herausforderung, eine extreme Herausforderung. Wer das übersteht, ist ein Krieger und beweist Stärke. Dass ein kleines Stück Fleisch, ein Stück des eigenen Körpers fehlt, ist kein Grund, an seinem Selbstvertrauen zu zweifeln. Ganz im Gegenteil: Als Mensch gewinnt man an Größe und Stärke.
Man sollte keine Angst haben, sich schämen oder gar nachlässig sein. Wenn etwas nicht stimmt, macht man eben einen Bluttest oder geht zum Arzt. Denn Krebs kündigt sich nicht an. Er kann asymptomatisch sein und manchmal zeigen sich nur wenige, milde Symptome. Man fühlt sich nicht unbedingt schlecht, aber man merkt, dass etwas anders ist und darüber muss man mit jemandem sprechen. Eine Kontrolle bei einem Spezialisten lohnt sich auf jeden Fall.