Interview mit Luciano Spalletti: Taktik, EM-Titelverteidigung und die Sache mit der Achterbahn
Donnerstag, 6. Juni 2024
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"In gewisser Hinsicht stehen wir uns selbst gegenüber, nicht der Außenwelt", so Luciano Spalletti, der Italien bei der UEFA EURO 2024 zur Titelverteidigung führen soll.
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Seit August 2023 ist Luciano Spalletti Nationaltrainer von Italien. Der Nachfolger von Roberto Mancini hat in seinem ersten großen Turnier eine schwere Aufgabe vor der Brust, denn die Azzurri haben sich bei der UEFA EURO 2024 die EM-Titelverteidigung vorgenommen.
Spalletti war als Spieler meist in der dritten Liga Italiens unterwegs, doch als Trainer hat er es bis auf die ganz große Bühne geschafft. Über Udinese führte ihn sein Weg zur AS Roma, anschließend wurde er mit Zenit Meister in Russland. 2016 kehrte er nach Italien zurück, trainierte erneut die Roma und anschließend Inter, ehe ihm mit Napoli ein ganz großer Wurf gelang, als er den Klub nach 33 Jahren wieder zum Triumph in der Serie A führte. Nun ist der 65-Jährige bei der EM in Deutschland für die Squadra Azzurra verantwortlich.
Luciano Spalletti über ...
... Italiens fußballerische Handschrift und Stil
Wir sind bekannt dafür, oder es wird uns oft nachgesagt, dass wir stark in der Defensive sind und auf Konter spielen. Aber in Italien ändert sich dieser Ansatz gerade. Wir wollen, dass die Spieler höher stehen, anstatt abzuwarten. Wir wollen Pressing ausüben, wollen ein gutes Aufbauspiel und als Mannschaft verteidigen.
Das Spiel ist fließend. Es geht darum, die Lücken auszunutzen, die der Gegner offenbart, denn man findet zwischen den Linien keine Räume mehr. Räume entstehen dort, wo die andere Mannschaft Raum unbesetzt lässt. Manchmal beginnt man mit einer Grundformation oder einem System und bekommt am Ende etwas ganz anderes. Man spielt zwei unterschiedliche Systeme während einer Partie. Aufgrund dieser fließenden Übergängen macht man die Dinge anders. Es gibt nicht mehr dieses starre, leicht wieder erkennbare Ding früherer Zeiten. Es ist jetzt viel kreativer.
... Giovanni Di Lorenzo und Federico Dimarco
Sie können außerhalb ihrer Komfortzonen spielen. Sie wissen, wie man als Mittelfeldspieler agiert, oder auch als offensiver Außenverteidiger. Sie wissen, wie man den Ball hinter die Abwehrkette bringt. Sie haben keine Angst, vorne reinzugehen und ein Tor zu machen. Solche Spieler, die mit fließenden Übergängen klarkommen, fühlen sich überall auf dem Platz wohl. Sie dominieren das Mittelfeld und erkennen, wenn Räume hinter der Abwehrkette entstehen. Es sind großartige Spieler.
... sein ersten Erfahrungen im neuen Amt des Nationaltrainers
Manchmal fühlt man sich in solchen Situationen wie im Himmel. Ich bin alt genug, dass ich die Achterbahnfahrten im Fußball kenne. Manchmal bist du kurz davor, die Nummer eins der Welt zu sein, kurz danach hast du große Probleme.
Spiele kommen und gehen. Solche Turniere sind enorm wichtig und deshalb müssen wir auf alles vorbereitet sein. Wie heißt es in unserer Hymne: "Wir sind bereit, zu sterben" für diese Spiele.
... den Druck, der auf Italien als Titelverteidiger liegt
Meiner Meinung nach ist es ein Vorteil, wenn du in das Turnier als Titelverteidiger startest. Aber wir müssen auch verstehen, dass wir uns sofort wie ein Titelverteidiger verhalten müssen. Italien hat uns ausgewählt, um das Land zu repräsentieren. Man wird erst während der Spiele sehen, ob wir in der Lage sind, die Aufgabe zu erfüllen.
Wir müssen es zeigen. Wir müssen uns selbst davon überzeugen, nicht nur die Fans. In gewisser Hinsicht stehen wir uns selbst gegenüber, nicht der Außenwelt. Wir müssen zeigen, aus welchem Holz wir geschnitzt sind und müssen zeigen, was wir in uns haben.