Analyse des Endspiels der U21-EM 2025
Montag, 30. Juni 2025
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Die Technische Beobachtergruppe der UEFA analysiert drei zentrale Themen des Endspiels der UEFA-U21-Europameisterschaft 2025, das England gegen Deutschland gewann.
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Lee Carsleys Team hat am Samstagabend Historisches geschafft: Mit dem Finalsieg gegen Deutschland verteidigte Englands U21 den EM-Titel – ein Kunststück, das zuletzt 1984 einer englischen Auswahl gelungen war. Nach einem packenden Endspiel in Bratislava analysierten die technischen Beobachter der UEFA drei zentrale Aspekte – beginnend mit Englands Erfolgsrezept gegen das deutsche Pressing.
"Der Plan war von Anfang bis Ende derselbe: von hinten rausspielen und die Lücken zwischen ihrer Mittelfeldreihe finden", erklärte der Spieler des Turniers Harvey Elliott nach Abpfiff. "In der ersten Halbzeit ist uns das sehr oft gelungen, wir haben daraus zwei starke Tore gemacht. In der zweiten Hälfte war es schwerer, da der Druck größer wurde."
Die nachfolgende Analyse zeigt, wie England den Matchplan umsetzte, wie Deutschland zurück ins Spiel fand und wie Carsleys Mannschaft in der Verlängerung die Kontrolle behielt.
Englands Variabilität beim Spielaufbau
"Der Trainer wollte, dass wir schnell starten", erklärte Flügelspieler Omari Hutchinson. Und genau das taten sie. Nach nur 24 Minuten führten die Young Lions dank Treffern von Elliott und Hutchinson mit 2:0.
Entscheidend war, wie gut sie Deutschlands Pressing ausspielten – und das auf unterschiedliche Weise, wie UEFA-Experte Steve Cooper betont: "England hatte klare Lösungen gegen Deutschlands effektives 4-1-2-1-2-Pressing, das im Turnierverlauf bislang gut funktioniert hatte. Sie spielten entweder zentral hindurch, außen herum oder mit langen Bällen darüber. Jeder Spieler kannte seine Rolle genau."
"Durch kluges Positionsspiel der Außenverteidiger und Mittelfeldspieler gelang es England immer wieder, die deutschen Spieler aus der Ordnung zu ziehen und so Räume für vertikales Passspiel zu schaffen. Das resultierte darin, dass Deutschland offen war und Englands Angriffe brandgefährlich wurden."
Dieses Video zeigt drei eindrucksvolle Beispiele aus der ersten Halbzeit. Besonders die Szene vor Hutchinsons Tor ist bemerkenswert: Der Angriff beginnt mit einem langen Pass, ein Beleg für Englands taktische Variabilität. Für Cooper war diese Flexibilität ein klarer Unterschied zum Turniersieg vor zwei Jahren: "Die Spieler konnten auch lange Bälle gut verarbeiten und daraus gefährliche Situationen entwickeln."
Auch bei Abstößen zeigte sich Englands taktische Reife: "Als Coach fragt man sich bei einem Abstoß: Was ist eigentlich das Ziel? Bei einem Eckball oder Freistoß ist das klar – aber beim Abstoß? England hatte dafür eine beeindruckende Bandbreite an Lösungen, mit denen sie teilweise ihre besten Chancen herausspielten."
Deutschlands Antwort: Flanken und Kopfballstärke
Schon vor dem Spiel hatte Deutschlands Trainer Antonio Di Salvo betont: "Mit Nick [Woltemade], Neli [Nelson Weiper] und Nicolò Tresoldi haben wir drei sehr große Spieler. Flanken sind also ein wichtiges Element in unserem Spiel." Dass eine Flanke durch Weiper per Kopf zum 1:2-Anschlusstreffer verwertet wurde, war also kaum überraschend.
In den gezeigten Spielszenen sieht man die beiden Treffer, mit denen Deutschland das Spiel in die Verlängerung brachte: Zunächst eine Flanke von Paul Nebel nach einer Standardsituation, dann Nebel selbst nach einer Ecke. Nebel war ohnehin eine zentrale Figur im deutschen Spiel, kombinierte sich regelmäßig mit seinem Linksverteidiger Nathaniel Brown durch die gegnerischen Linien.
UEFA-Experte Håkan Ericson erklärte dazu: "Auch wenn das erste Tor nach einem ruhenden Ball fiel, sah es aus wie viele Angriffe Deutschlands im Turnierverlauf – mit schnellen Kombinationen und früh hereingegebenen Flanken aus dem Halbraum auf den zweiten Pfosten."
Mit dem Anschlusstreffer stieg Deutschlands Selbstvertrauen – und auch die Intensität: Ericson sah "mehr Aggressivität und ein effektiveres Pressing" im zweiten Durchgang, inklusive einer Großchance kurz vor Schluss, als Nebels abgefälschter Schuss an die Latte klatschte.
England Spielmanagement
Was England in der Schlussphase und der Verlängerung auszeichnete, war ihre Spielkontrolle – besonders durch kluge Einwechslungen und konsequente Defensivarbeit.
Das entscheidende 3:2 war das Produkt dreier Joker: Brooke Norton-Cuffy leitete den Angriff ein, Tyler Morton flankte, Jonathan Rowe traf per Flugkopfball. "Carsley brachte athletische Spieler mit Tempo und Qualität und die nutzten ihre Chance", lobte Cooper. Rowe selbst sagte: "Ich wusste, dass wir, die auf der Bank saßen, gebraucht werden würden. Unsere Aufgabe war es, das Team über die Ziellinie zu bringen."
In der Defensive bewies England in der Verlängerung Nervenstärke. Ob im Kollektiv oder durch Einzelaktionen, wie etwa durch Innenverteidiger Charlie Cresswell, der zweimal in höchster Not klärte. Das Team verteidigte leidenschaftlich. "Sie wussten, wann sie Ballbesitz halten und wann sie tief stehen mussten", sagte Cooper. "Und sie hatten Spieler, die in den entscheidenden Momenten da waren. Genau das brauchst du in solchen Spielen."
Gedanken zum Coaching
"Der Glaube war der Schlüssel", sagte Matchwinner Rowe über die Wirkung von Trainer Carsley. Doch wie schafft es ein Nationaltrainer, diesen Glauben in einer Mannschaft zu verankern, die sich aus verschiedensten Vereinen zusammensetzt und wenig gemeinsame Trainingszeit hat?
Håkan Erikson, Technischer Beobachter der UEFA
"Aus meiner Erfahrung als Trainer glaube ich, dass man auf klaren Prinzipien aufbauen muss, wie man spielen will – einige davon sind in Stein gemeißelt und verändern sich nie, andere wiederum sind anpassbar, je nach Aufstellung sowie den Stärken und Schwächen des Gegners."
Nationalspieler müssen verstehen und verinnerlichen, dass es ein Spielsystem und einen Matchplan gibt, die sich von dem unterscheiden, was sie aus ihren Vereinen gewohnt sind. Sie müssen in der Lage sein, diese umzusetzen, obwohl ihnen gerade zu Beginn eines Turniers oft nur wenig Zeit zur Vorbereitung bleibt.
"Was an England beeindruckend war: Wie gut sie in der ersten Halbzeit den Plan ihres Trainers umsetzten. Wir haben gute Spieler gesehen, die einem durchdachten Matchplan folgten. Clever vorbereitet, um die Stärken des Gegners zu neutralisieren und getragen von den guten Prinzipien, die das eigene Team auszeichnen."
"Wir haben in Carsley auch einen Trainer erlebt, der daran gewöhnt ist, mit Drucksituationen und bedeutenden Spielen ruhig umzugehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wenn man das als Coach schafft, spüren es die Spieler – und profitieren davon. Samstag war ein gutes Beispiel dafür: Carsleys Körpersprache an der Seitenlinie und seine klugen Entscheidungen in Bezug auf Taktik und Einwechslungen haben die Basis dafür gelegt, dass England das Spiel gewinnen konnte."
Steve Cooper, Technischer Beobachter der UEFA
"Zu sehen, wie dominant England in der ersten Halbzeit am Samstag war, ist ein Ausdruck von Lee Carsleys Einfluss. Nicht nur in Bezug auf seinen technischen und taktischen Ansatz, sondern auch darauf, wie er seine Spieler dazu gebracht hat, genauso an diesen Plan zu glauben, selbst in einem Finale."
"Deutschland wirkte in dieser Anfangsphase überfordert. Man konnte sehen, wie geschlossen England auftrat und wie sehr sie an ihren Weg glaubten – das, wie gesagt, spricht sehr für Carsley und sein Trainerteam."
"Um an diesen Punkt zu kommen, braucht es Konsequenz im Plan. Als Trainer darfst du nicht in Panik geraten. Lee selbst sagte, es habe zu Beginn des Turniers Phasen gegeben, in denen sie es nicht ganz richtig gemacht hätten, aber er ist nie von seinem Plan abgewichen. Und wenn man das tut, reagieren die Spieler darauf, und der Glaube wächst. Es geht also darum, konsequent zu bleiben, dem Plan treu zu sein und weder zu euphorisch noch zu niedergeschlagen zu werden – und genau das hat sich im Finale ausgezahlt, in dem England auf ein ebenso starkes Team traf."
"Der Unterschied war, dass sie in der ersten Halbzeit das Selbstvertrauen und den Glauben hatten, ihren Plan umzusetzen – mehr als Deutschland – und dafür verdient das Trainerteam großes Lob."
"Sie haben es auch auf die 'englische Art' gemacht, also im Stil, mit dem Englands Teams mittlerweile in allen Altersklassen auftreten.“