Thomas Tuchel im Interview über die Champions League, die Premier League, Harry Kane und Mathys Tel
Montag, 23. Oktober 2023
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Bayern-Trainer Thomas Tuchel spricht im UEFA-Interview über die Chancen seiner Mannschaft in der Champions League und die besonderen Rollen seiner Stürmer.
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Thomas Tuchel hat in der UEFA Champions League schon alle Höhen und Tiefen erlebt. Im Jahr 2020 verlor er das Finale mit Paris, doch nur seine Saison später erklomm er mit Chelsea den Gipfel des Vereinsfußballs. Nun will der 50-Jährige den FC Bayern München zum großen Wurf führen.
Im UEFA-Interview spricht Tuchel über die Zielsetzungen an der Säbener Straße, vergleicht die Bundesliga mit der Premier League und verrät, wie es mit Harry Kane und Mathys Tel läuft.
Thomas Tuchel über...
... den Druck und die Erwartungshaltung beim FC Bayern
Sobald du den Druck spürst, weißt du, dass du bei einem Verein bist, der gewinnen möchte und sich über das Gewinnen definiert. Wir haben letztes Jahr unsere hohen Ziele nicht erreicht und versuchen jetzt, eine Mannschaft zu formen, die bis zum Ende um alle Titel mitspielt. Wir machen uns alle Druck selbst. Wir wollen immer das perfekte Training haben, die perfekte Trainingswoche haben, das perfekte Spiel haben. Aber wir laufen die ganze Zeit hinterher, denn das perfekte Spiel existiert nicht. Unsere Ansprüche sind extrem hoch, aber bei Bayern werden Siege erwartet. Es werden auch Siege mit attraktiven Spiel und vielen Toren erwartet. Manchmal kann man das nicht alles liefern.
Aber der Druck ist etwas Positives und gehört auf diesem Niveau dazu. Das wird jeder bestätigen, der auf dem höchsten Niveau Sport macht. Es gehört dazu, diesen irgendwann auszublenden und sich auf das zu konzentrieren, wo man sich wohlfühlt: Arbeit, Besprechung, Trainingsvorbereitung, Arbeit mit der Mannschaft auf dem Platz. Dann merkt man auch, dass der Druck von außen nie größer sein kann, als der Druck, der von einem selber kommt. Ich bin noch nicht zu 100 % zufrieden, wie wir spielen. Aber wir finden Wege, als Sieger vom Platz zu gehen. Der Prozess der Anpassung ist noch nicht abgeschlossen für mich.
... die Champions League, Bayerns Gruppenphase und ein Ausblick in Richtung K.-o.-Runde
Du kannst noch nicht über das Halbfinale nachdenken, während du in der Gruppenphase spielst. Der Wettbewerb ist so eng mittlerweile, dass keine Gruppenphase mehr einfach ist. Ich habe noch nie eine einfache Gruppenphase erlebt. Du musst hellwach, aufmerksam und konzentriert sein. Dein Fokus muss 90 Minuten lang da sein, auch in einer Gruppe mit Galatasaray, Kopenhagen und Manchester United. Du darfst dir keinen Aussetzer erlauben und erst recht keine zwei. Wir arbeiten daran, widerstandsfähiger und robuster zu werden.
Wir haben jetzt einige Spiele nach Rückstand gedreht und entwickeln gerade eine Wettbewerbshärte. Es muss immer unser Anspruch sein, ins Viertelfinale zu kommen. Ab da bist du auch ein bisschen auf das Losglück angewiesen. Ich glaube, es macht einen großen Unterschied, ob du im Viertelfinale gegen Manchester City spielst oder gegen jede andere Mannschaft, denn City ist der Benchmark im Moment. Wir wollen zunächst in die K.-o.-Phase kommen und mit ein bisschen Losglück ist es für jeden Viertelfinalisten möglich, das Turnier am Ende zu gewinnen.
... die Unterschiede zwischen der Bundesliga und der Premier League
Die Premier League ist robuster und fordert von den Spielern noch mehr als die Bundesliga. Das ist auf jeden Fall mein Eindruck. Mental, physisch und auch psychisch ist das auf dem allerhöchsten Niveau. Das muss auch nicht immer ein Vorteil für die englischen Mannschaften sein, denn es ist extrem aufreibend, in diesem Wettbewerb zu spielen und dann noch europäisch vertreten zu sein. Deshalb werden die Kader immer größer und es wird viel mehr gewechselt als in den vergangenen Jahren.
Seitdem die englischen Teams das machen, sind sie extrem wettbewerbsfähig. Der Trend geht insgesamt zu Robustheit. Pep [Guardiola] hat letztes Jahr im Finale mit vier gelernten Innenverteidigern in der Viererkette gespielt, plus Rodri davor. Das war sehr körperlich, sehr robust und sehr zweikampfstark. Das ist auf diesem Niveau eine absolute Bedingungen.
... Star-Neuzugang Harry Kane
Das ist mehr als nur talentiert. Das ist absolute Weltklasse, das ist Talent, Können, Ausstrahlung plus Persönlichkeit, plus Bescheidenheit, plus die Liebe und Hingabe für das Spiel. Wir haben den englischen Kapitän aus England herausgeholt. Da können wir uns schon noch eine ganze Weile auf die Schulter klopfen, das ist schon eine große Nummer. Harry hat einen tollen Start hingelegt und er wird noch besser werden, je mehr er mit uns trainiert. Wenn seine Familie erst einmal hier ist und er sich heimisch fühlt, werden wir sein ganzes Potenzial sehen.
Er hat einen großen Einfluss. Man darf nicht unterschätzen: Niemand hat keinen Einfluss. Auch wenn man denkt: "Ich bin nur der Ersatzspieler und es ist egal, ob ich heute mit schlechter Laune komme und mit 90 % trainiere", das ist nicht so. Deshalb muss jeder seine Rolle spielen und Harrys Rolle ist ganz automatisch eine mit dem größten Einfluss, denn er ist der Kapitän der englischen Nationalmannschaft und er hat Tottenham jahrelang auf seinen Schultern getragen und Verantwortung übernommen. Er kommt als Erster auf den Trainingsplatz, hat eine gewisse Lockerheit, er hat die Persönlichkeit und er liebt Training. Wenn du ein so großer Spieler bist, hat alles was du tust eine Auswirkung. Alles, was du tust, wird beobachtet. In der Kabine: Wie gibt's du dich? Wie offen bist du? Wann gehst du auf den Platz? Wie trainierst du? Das ist einfach vorbildlich und deshalb ist es einfach nur gut, dass er hier ist.
... Gegenwart und Zukunft von Mathys Tel
Wir denken täglich darüber nach, ob wir ihn 90 Minuten lang spielen lassen. Aber Mathys geht im Moment so gut mit dieser Rolle um, dass wir diese Rolle auch nicht einfach hergeben möchten. Es ist sehr wichtig, jemanden zu haben, der diese Rolle liebt. Die Mannschaft weiß, dass wenn er für eine halbe Stunde oder eine Viertelstunde eingewechselt wird, kann er unser Spiel komplett beeinflussen. Er kann uns die Energie geben und das entscheidende Tor machen. Das ist eine extrem wichtige Rolle.
Wenn ich ihn jetzt von Anfang an spielen lasse, fehlt mir vielleicht jemand, der mit der gleichen Leidenschaft, Hingabe und Qualität diese Rolle spielen kann. Deshalb ist es ein Abwägen. Wir müssen beobachten, wie lange Mathys die positive Energie für diese Rolle hat. Wir werden ihm auch immer wieder Spiele von Beginn an geben. Aber momentan haben wir eine große Konkurrenz. Mathys ist 18 Jahre alt und nimmt die Rolle sehr gut an. Er lässt sein Ego außen vor und das ist sehr bemerkenswert.