Rangnicks Taktik-Kniffe: Ein perfekter Abend
Mittwoch, 6. April 2011
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Schalke-Coach Ralf Rangnick hat beim unfassbaren Triumph im San Siro genau die richtige Taktik gewählt und diese dann auch noch mit eigentlich schon geschassten Spielern ausgefüllt - es wurde der perfekte Abend.
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Ja – natürlich kann ein Trainer immer nur mit dem Spielermaterial arbeiten, das ihm vorgesetzt wird. Doch was er dann daraus macht, kann bei gleicher Ausgangslage höchst unterschiedlich sein. Das im Vorfeld unvorstellbare 5:2 des FC Schalke 04 im Hinspiel des Viertelfinals der UEFA Champions League kann im Nachhinein plausibel mit den Maßnahmen des neuen Trainers Ralf Rangnick erklärt werden – und mit dem Fehlen von José Mourinho.
Man muss kein ausgewiesener Fußballfachmann sein, um zu erkennen, dass Inter in dieser Saison ein fundamentales Problem mit dem Defensiverhalten hat – und dazu gehört ja bekanntlich nicht nur die Abwehr, sondern die ganze Mannschaft. In der traditionell defensiv ausgerichteten Serie A tritt das zwar nicht ganz so krass zutage, doch vor allem in der UEFA Champions League wurde deutlich, wie sehr der Weggang von José Mourinho sich bemerkbar macht, was wieder einmal die Wichtigkeit des Trainers unterstreicht.
Unter dem Portugiesen sicherte sich Inter 2010 den Triumph in der Königsklasse mit nur acht Gegentoren in 13 Spielen, dabei spielte man gar sieben Mal zu null. Das war in dieser Spielzeit – mit einer im Prinzip unveränderten Mannschaft – schon nach vier Gruppenspielen erreicht! Der FC Twente durfte zum Auftakt gleich doppelt jubeln, Tottenham Hotspur FC traf in beiden Spielen drei Mal und sogar der SV Werder Bremen erzielte im letzten Gruppenspiel drei Tore gegen den Titelverteidiger. Im Achtelfinale gegen den FC Bayern München offenbarten die Nerazurri keine Löcher, sondern ganze Krater in ihrer Abwehr. Es war lediglich der Unfähigkeit der Bayern bei der Chancenauswertung und der Tatsache, dass die Roten mit ähnlichen Abwehrsorgen wie die Italiener zu kämpfen haben, zu verdanken, dass Inter es überhaupt bis ins Viertelfinale gepackt hat.
Rangnick hat ganz genau hingeschaut. 13 Gegentore waren es für Inter alleine in den acht Königsklasse-Spielen vor dem Debakel am Dienstagabend. Dann fielen dem neuen Schalke-Trainer mit Peer Kluge und Christoph Metzelder auch noch zwei tragende Säulen in seinem eigenen Defensivkonzept aus, so dass die Innenverteidigung mit Benedikt Höwedes (23) und Joel Matip (19) aus zwei blutjungen Spielern bestand. Dass Inter bei all den Defensivsorgen immer noch über eine herausragende Offensivabteilung verfügt, hatten ja auch die Bayern schmerzlich erfahren müssen.
Für Rangnick war daher klar: Die Flucht nach vorne wird angetreten. "Wenn man versucht, gegen eine Mannschaft wie Inter nur zu verteidigen, wird es ganz schwer", sagte der Trainer nach der Gala. "In der Partie gegen den AC Milan [die Inter am Wochenende 0:3 verlor] konnte man sehen, wie viele Räume Inter dem AC Milan erlaubt hat." Die Devise lautete für Königsblau also: Vorne so viele Tore schießen, dass die, die man gegen Inters Offensive fast zwangsläufig kriegt, nicht so viel ausmachen. Das ist aufgrund der besonderen Arithmetik des Europapokals eben gerade im San Siro, der Höhle des Löwen, eine gute Idee.
"Wir haben entschieden, José Manuel Jurado von Anfang an auf der Sechs zu bringen, um fußballerisch Akzente zu setzen und den Ball zu halten", erklärte Rangnick weiter. Auch die weiteren Personalentscheidungen des Schwaben erwiesen sich an diesem Abend als goldrichtig. Mit Edu rückte ein Mann ins Zentrum des Geschehens, der bisher vor allem im Trikot des VfL Bochum 1848 bekannt war. Im San Siro traf er doppelt und weiß wahrscheinlich selber nicht, wie ihm geschah. "Er hat gespürt, dass er eine echte Chance erhält. Wenn man einen Mann wie Edu spielen lässt, dann muss er ins Sturmzentrum. Da ist er sehr stark, auf der Außenbahn sehe ich ihn nicht", so Rangnick weiter.
Eine neue Chance gab es auch für Alexander Baumjohann, der noch unter Felix Magath zu den Amateuren abgeschoben wurde. Der hoch veranlagte Mittelfeldspieler dankte seinem neuen Trainer mit einem Traumpass auf Edu zum 2:2. "Baumjohann stand schon vor sechs Jahren bei mir im Kader. Ich dachte, wenn der nach unten in die 4. Liga geschickt wird, dann müssen schon gravierende Dinge vorgefallen sein. Aber das habe ich nicht feststellen können", begründete Rangnick.
Nach absolut verrückten ersten 45 Minuten (Rangnick: "Es hätte in der Pause auch 5:5 stehen können"), die aber eigentlich nur die logische Fortsetzung aus beiden Achtelfinalspielen Inters gegen Bayern waren, griff Rangnicks nächste Maßnahme, die in Verbindung mit den Besonderheiten des Europapokals dafür sorgte, dass es ein perfekter Abend wurde. Das 2:2 war angesichts der beiden kassierten Auswärtstore keine gute Ausgangslage für den Titelverteidiger, der sich also entschied, nachlegen zu wollen.
Rangnick hatte das aber erwartet und stellte in der Pause auf drei Sechser um. "Das war wichtig, denn dann haben wir nicht mehr so viele Chancen zugelassen. In der ersten Halbzeit hatten wir noch zu viele Räume geliefert", erläuterte der überglückliche Trainer, der nachher von seinem "besten Spiel" sprach, aber auch einräumte: "Das muss sich jetzt erst mal setzen, die Spieler und ich müssen das erst mal verarbeiten." Die sich nun durch eine aufgerückte Inter-Elf bietenden zusätzlichen Räume nutzte der Bundesligist mit drei weiteren Treffern brutal zu einem historischen Abend aus.