1982: Rossis goldene Woche
Donnerstag, 29. April 2004
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Paolo Rossi stahl bei der Endrunde 1982 in Spanien allen die Show, und die Bundesrepublik Deutschland wurde zum Bösewicht des Turniers.
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1982: Rossis goldene Woche
Die zwölfte WM-Endrunde in Spanien erlebte den Brasilianer Zico in Bestform, glänzende Auftritte des Franzosen Michel Platini und den Beginn der Hass-Liebe zwischen dem argentinischen Genie Diego Maradona und diesem Turnier. Doch im Rampenlicht stand der Italiener Paolo Rossi, der zuvor nur drei Länderspiele in zwei Jahren absolviert hatte.
Erweiterter Wettbewerb
Die Überraschungen gab es wie gewöhnlich vor Beginn der Endrunde. Die Entscheidung der FIFA, den Wettbewerb auf 24 Mannschaften zu erweitern, machte es für die europäischen Nationen eigentlich leichter, sich zu qualifizieren. Dennoch scheiterten die Niederlande, die in den beiden WM-Endspielen zuvor jeweils unterlegen waren, ebenso wie Portugal und Schweden schon in der Qualifikation.
Neuer Modus
Nach dem neuen Modus gab es sechs Gruppen mit je vier Mannschaften. Die besten zwei Teams einer jeden Gruppe kamen in die zweite Gruppenphase, bei der es vier Gruppen mit je drei Mannschaften gab. Die jeweiligen Gruppensieger erreichten das Halbfinale. Fünf Nationen gaben ihr Debüt: Algerien, Kamerun, Honduras, Kuwait und Neuseeland. Das Turnier erlebte gleich einen flotten Start, denn zum ersten Mal seit 20 Jahren endete das Auftaktspiel nicht mit 0:0.
Argentinien weint
Der Titelverteidiger aus Südamerika verlor das Eröffnungsspiel gegen Belgien mit 0:1 und enttäuschte im Verlauf des Turniers trotz der Qualifikation für die zweite Gruppenphase, angeführt von einem göttlichen Maradona. Ähnlich präsentierte sich auf dem Weg in die nächste Runde Gastgeber Spanien, das gegen Honduras eine Niederlage gerade noch verhindern konnte, dann aber Nord-Irland unterlag.
Algerien bezwingt Deutschland
Die 1:2-Niederlage der Bundesrepublik Deutschland gegen Algerien war ein ähnlich großer Schock wie 1950 der Sieg der USA gegen England und 1966 Nordkoreas Erfolg über Italien. Die Deutschen zeigten danach einen peinlichen Schulterschluss, um Algerien aus dem Turnier zu werfen. Sie brauchten in ihrem letzten Spiel gegen Österreich unbedingt einen Sieg. In der 11. Minute erzielten sie das 1:0, worauf beide Mannschaften aufhörten, Fußball zu spielen. Denn beide wussten, dass sie bei diesem Endstand die nächste Runde erreichen würden.
Eindrucksvolles Brasilien
England kam nach einem Sieg über Frankreich in die zweite Runde, auch die Franzosen blieben im Turnier. Doch die eindrucksvollste Mannschaft war zweifelsfrei Brasilien. Angeführt von Zico, Socrates und Falcão bezwangen die Brasilianer die Sowjetunion, Neuseeland und Schottland, und nach dem vernichtenden 3:0-Sieg gegen den amtierenden Weltmeister Argentinien schienen sie bereit für den ganz großen Wurf.
Duell mit Italien
Brasiliens Duell gegen Italien entschied über den Einzug ins Halbfinale. Die Italiener hatten bei ihren Unentschieden gegen Polen (0:0), Peru (1:1) und Kamerun (1:1) nicht gerade überzeugt. Aber gegen Argentinien kamen sie in der zweiten Gruppenphase zu einem schwer erkämpften 2:1-Sieg.
Das Wunder Rossi
Indes erlebte Rossi die Woche seines Lebens. Nach zweijähriger Sperre wegen verschobenen Spielen absolvierte er vor der Weltmeisterschaft gerade einmal drei Spiele und hatte bis zu Turnierbeginn kein einziges Tor erzielt. Dennoch hielt der Trainer der Italiener, Enzo Bearzot, an ihm fest.
Hattrick-Held
Italien brauchte unbedingt einen Sieg über Brasilien, um ins Halbfinale zu kommen. Deshalb griffen die Italiener an, und nach fünf Minuten brach Rossi seinen Bann. Sieben Minuten später schaffte Socrates zwar den Ausgleich, doch nach einem Abwehrfehler brachte Rossi Italien wieder in Führung. Den Brasilianern reichte schon ein Unentschieden, und nach Falcãos Ausgleich zum 2:2 sah es danach aus, als könnten sie es schaffen. Doch 16 Minuten vor dem Ende vollendete Rossi seinen unvergesslichen Hattrick, und Dino Zoff hielt mit heldenhaften Paraden den Sieg fest.
Zwei weitere Rossi-Tore
Jetzt war Rossi nicht mehr zu stoppen. In einem schwachen Halbfinale gegen Polen, das auf seinen besten Akteur Zbigniew Boniek verzichten musste, machte er beide Tore und führte Italien damit ins Endspiel. Im anderen Halbfinale standen sich Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland gegenüber. Die Franzosen beeindruckten in der zweiten Gruppenphase mit Siegen gegen Österreich (1:0) und Nordirland (4:1), die Deutschen gewannen gegen Spanien (2:1) und holten gegen England ein torloses Unentschieden, das die Engländer nach Hause fahren ließ.
Platinis Ausgleich
Dieses Spiel war das dramatischste Halbfinale einer Weltmeisterschaft aller Zeiten. Frankreich wurde brillant organisiert von Platini, Alain Giresse und Jean Tigana und hatte dadurch mehr vom Spiel. Die Deutschen gingen zwar durch Pierre Littbarski in Führung, doch Platini glich mit einem Strafstoß aus.
Schocksekunde
Nach 57 Minuten lief Patrick Battiston nach einem langen Ball von Giresse alleine auf den deutschen Torhüter Harald Schumacher zu. Dieser kam heraus und brachte den Franzosen mit einem bösen Tackling, das ihm fast den Kopf abgerissen hätte, zu Fall. Es dauerte zehn Minuten, bis man Battiston abtransportieren konnte. Verblüffenderweise wurde Schumacher nicht vom Platz gestellt, Frankreich bekam noch nicht einmal einen Strafstoß.
Amoros scheitert
Die Franzosen waren dadurch aus dem Tritt gekommen und wurden von den Deutschen zurückgedrängt. Genau in dieser Phase hatte Manuel Amoros den Siegtreffer auf dem Fuß, doch sein Schuß ging nur an die Latte. In der Verlängerung kamen die Franzosen durch Marius Trésor und Giresse zu einer 3:1-Führung, doch die Deutschen kamen durch Tore von Karl-Heinz Rummenigge und Klaus Fischer zurück. Es folgte das erste Elfmeterschießen dieser Weltmeisterschaft, in dem Schumacher zweimal halten konnte und die Bundesrepublik Deutschland dadurch ins Endspiel brachte.
Endspiel in Madrid
Es war nicht erstaunlich, dass nach der Art und Weise, wie man Algerien ausgeschaltet und gegen Frankreich gesiegt hatte, Deutschland beim Finale gegen Italien am 11. Juni in Madrids Santiago Bernebéu-Stadion nicht der Liebling der Massen war.
Flugkopfball
Das Spiel verlief enttäuschend, weil beide Mannschaften nur den Gegner am Spiel hindern wollten. Die Italiener verschenkten die Möglichkeit zur Führung, als Antonio Carbrini einen Strafstoß vergab. Doch in der 56. Minute war es eben jener Carbrini, der mit einer Flanke den ersten Treffer vorbereitete. Seine Hereingabe verwandelte Rossi mit einem Flugkopfball und erzielte damit seinen sechsten Treffer in dieser Woche.
Ergebniskosmetik
Von da an übernahmen die Italiener die Initiative und kamen durch Marco Tardelli und Alessandro Altobelli zu weiteren Toren. Der Treffer von Paul Breitner für Deutschland in der 83. Minute war nur noch Ergebniskosmetik. Italien gewann mit 3:1 und war zum dritten Mal Weltmeister. Auf ihrem Weg dahin konnten sie alle drei Sieger der vorangegangenen drei Turniere - Argentinien, die Bundesrepublik Deutschland und Brasilien - besiegen.