Fußball vereint: Grenzen einreißen, Communities aufbauen
Sonntag, 11. Juli 2021
Artikel-Zusammenfassung
Die EURO 2020 spielt eine wichtige Rolle bei der Unterstützung vieler europäischer Länder, die mit dem Fußball alle Formen von Diskriminierung bekämpfen wollen – auf und neben dem Rasen.
Top-Medien-Inhalte des Artikels

Artikel-Aufbau
Jedes Jahr nutzt die UEFA Einnahmen aus ihren Wettbewerben, wie zum Beispiel den Europameisterschaften, um €100.000.- an jeden seiner 55 Mitgliedsverbände auszuschütten, damit diese das Geld in Projekte der Sozialen Verantwortung investieren. Einzige Bedingung: die Programme müssen zwei Schlüsselprobleme durch Fußball bekämpfen.
"Wenn dein Sport von Millionen von Menschen gespielt und aufmerksam verfolgt wird, haben deine Taten einen enormen Einfluss auf unsere Gesellschaft", sagt Michele Uva, Chef des Programms für soziale Verantwortung bei der UEFA. "Wir sind der festen Überzeugung, dass Fußball eine führende Rolle dabei spielen kann, das Verhalten der Menschen in Umwelt- und Menschenrechts-Fragen zu ändern.
"In diesem Jahr werden wir zwölf Millionen Euro investieren, um für Aktivitäten im Bereich Soziale Verantwortung zu werben. Für uns ist dies eine Investition in die Zukunft, nicht nur in die des Fußballs, sondern auch die der Gesellschaft."
Alleine in der Saison 2019/20 haben sich in Europa 46 nationale Fußballverbände dafür entschieden, dieses Geld dafür zu verwenden, die Chancen für unterprivilegierte Gesellschaftsschichten zu verbessern: also für Flüchtlinge, Menschen mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen, Suchtkranke, ethnische, ökonomische, religiöse oder sexuelle Minderheiten, Gefängnisinsassen und Waisenkinder.
Die Breite und Tiefe dieser Initiativen sind erstaunlich. Wir haben sechs Nationalverbände gebeten, zu erklären, wie sie den Fußball nutzen, um allen in diesem Sport die gleiche Chance zu bieten. Hier folgen die ersten fünf Länder, die Republik Irland, Österreich, Georgien, Schweden und Wales:
San Marino
Andrea Zoppis, internationaler Projektverantwortlicher und Zuschauer-Verbindungsmann
Wie wird das Projekt genannt?
"San Marino offen und grün."
Wie funktioniert das Projekt?
"Das Ziel des Projekts ist es, unser Nationalstadion für alle Arten von behinderten Zuschauern zugänglich zu machen. Als Teil davon, mit der Hilfe des UEFA-Partners CAFE, haben wir vor der U21-Europameisterschaft 2019 einen Trainingskurs für audiodeskriptiven Kommentar (ADC) organisiert. ADC hilft sehbehinderten und blinden Fans, die zu einem Spiel gehen, mit einer detaillierten Beschreibung davon, was auf dem Platz passiert."
Wer nahm am Kurs teil?
"Zu den Teilnehmern aus San Marino zählten Journalisten und FSGC-Mitarbeiter. Zusätzlich war der zuständige Mitarbeiter für behindertengerechten Zugang des AC Milan am zweiten Tag des Seminars vor Ort, um mehr herauszufinden, was Service und Training angeht."
Wie wurde es umgesetzt?
"Es hatte sofort Einfluss auf das allererste U21-Endrundenspiel in San Marino, ADC war verfügbar für die Begegnung Kroatien gegen Rumänien am 18. Juni 2019.
"Wir stellen den Service bei allen Heimspielen von San Marino zur Verfügung und haben Anfragen von italienischen Klubs erhalten, die das auch umsetzen wollen und Hilfe benötigen. Dank dieses Angebots können sehbehinderte und blinde Fans die Spiele viel besser genießen."
EURO-Einnahmen haben dazu beigetragen, das Projekt zu starten. Steht ADC auch beim Turnier zur Verfügung?
"Ja, CAFE und die UEFA haben uns gebeten, für alle Spiele in Rom während der EURO 2020 ADC anzubieten. Unsere Kommentatoren (wir sind drei) wurden vor zwei Jahren trainiert und haben die beste Erfahrung."
"Da Italien im Finale steht, wurden wir gebeten, ADC im Wembley anzubieten, deshalb werden wir im größten Spiel im europäischen Fußball zugegen sein!"
Besucht den Fußballverband von San Marino (FSGC)
Republik Irland
Ger McDermott, Chef des Breitensport-Fußballs
Wie wird das Projekt genannt?
Walking Football
Warum hat sich Ihr Verband entscheiden, einen neuen Fußballstil für Ältere zu kreieren?
"Wenn wir über die wachsende Beteiligung im Fußball oder Spielerbindung sprechen, dann neigen wir dazu, uns auf Kinder und junge Erwachsene zu konzentrieren, nicht auf Männer und Frauen, die für unseren Sport nicht mehr in Frage kommen, weil sie zu alt sein sollen. Unsere Antwort war, Walking Football für die Über-50-Jährigen zu etablieren: eine kontaktfreie Form des Spiels, praktiziert auf kleineren Plätzen, in der Halle und draußen.
"Nur weil man nicht schnell sprinten oder die Richtung ändern kann, sollte man nicht ausgeschlossen sein, den einfachsten Sport der Welt zu betreiben – man kann auch im Gehen spielen!"
Wie lang hat es gebraucht, dass das Projekt starten konnte?
"Wir haben lokal angefangen und Mittel von der UEFA sowie Sport Ireland genutzt, wir sind auf die Gemeinden zugegangen – durch unser nationales Netzwerk von Fußball-Entwicklung-Verantwortlichen und durch die Verbindung zu Gemeinschaftsgruppen.
"Ein Walking Football Festival, ausgetragen in der National Indoor Arena in Dublin im Januar 2020, hat gezeigt, wie sehr das Programm gewachsen ist. 120 Spieler haben teilgenommen, 50 und älter, 14 Teams aus Blanchardstown, Santry, Balbriggan, Coolock, Finglas, Cabra, Drogheda, Offaly, Celbridge, Naas und Arklow waren am Start."
Worauf sind Sie am meisten stolz?
"Die wahre Stärke des Programms liegt im sozialen Aspekt. Ein Spieler hat uns erzählt, dass er das erste Mal seit Jahrzehnten neue Freunde gefunden hat.
"Walking Fußballer verbringen vielleicht nur 40 Minuten auf dem Platz, aber eine Unterhaltung nach einem Spiel mit einer Tasse Tee kann zwei Stunden dauern. Da ist klasse."
Tom Shields, Palmerstown
"Es ist großartig, dass man in der Lage ist, aus dem Haus zu gehen, Leute zu treffen, mit ihnen zu sprechen und erneut zu erkennen, dass ich am Ende meiner Tage immer noch rausgehen und gehen kann."
Besucht die Seite des irischen Fußballverbandes (FAI)
Österreich
Ingo Mach, Leiter Soziale Verantwortung im Fußball
Wie wird das Projekt genannt?
"Fußball für Alle"
Warum bezieht ihr Verband Stellung gegen Homophobie im Fußball?
"Wir wurden inspiriert von EuroPride, dem paneuropäischen internationalen Event, gewidmet der LGBT, das 2019 in Wien stattfand. Statt auf Fälle von Diskriminierung zu reagieren, habe ich vorgeschlagen, dass unser Verband proaktiv Homophobie im österreichischen Fußball bekämpft."
Was genau war ihr Vorschlag?
"Einen unabhängigen Ombudsmann für den österreichischen Fußball zu etablieren, um als Kontaktperson zu agieren, an die man sich bei sexueller Diskriminierung wenden kann, auf jedem Level des Spiels. Dank der Unterstützung des Verbandes, der österreichischen Fußball-Bundesliga und der UEFA wurde Oliver Egger 2019 zu unserem ersten Ombudsmann ernannt. Oliver, der Verteidiger beim FC Gratkorn in der Oberliga Mitte West war, war der erste österreichische Fußballspieler, der offen über seine Homosexualität war."
Wie läuft die Arbeit des Ombudsmanns ab?
"Jeder Fußballer, der sich nicht wohl dabei fühlt, sich outen zu wollen, oder der wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert wurde, kann mit dem Ombudsmann über eine vertrauliche Hotline in Kontakt treten. Wir bevorzugen direkten Kontakt via Mobiltelefon oder WhatsApp, aber E-Mail ist auch in Ordnung.
Wir organisieren auch Workshops, um das Bewusstsein bei der breiten Fußball-Familie zu stärken, von Schulkindern und Breitenfußball-Vereinen bis hin zu Profis und nationalen Verbänden über Österreich hinaus. Wir sind stolz, dass unser Verband der erste war, der einen Ombudsmann ins Leben gerufen hat und jetzt als Vorbild für andere UEFA-Mitglieder dient."
Was ist der bis dato größte Erfolg?
"Es gibt wirkliche Anzeichen einer Veränderung in der Fußballkultur. In der vergangenen Saison haben wir einen nationalen Workshop organisiert, wobei Fans nicht nur des Nationalteams, sondern aller Klubs der österreichischen Fußball-Bundesliga eingeladen waren. Seitdem ist es spürbar, dass Fans viel mehr bewusst ist, ob ihre Sprache homophob ist oder nicht."
Oliver Egger, Ombudsmann (Fußball für Alle)
"Wir hoffen, dass es in zwei bis drei Jahren für Fußballer, Männer und Frauen, völlig normal ist, sich zu outen."
Besucht die Seite des Österreichischen Fußball-Bundes (ÖFB)
Georgien
Nikoloz Tevdoradze, Leiter Soziale Verantwortung im Fußball
Wie wird das Projekt genannt?
"Georgische Amputierten-Liga und -Pokalwettbewerbe."
Warum haben Sie sich in Ihrem Programm auf amputierte Fußballer konzentriert?
"Es gibt viele amputierte Fußballer in Georgien, die sich ihre Verletzungen in Konflikten oder unter anderen Umständen zugezogen haben. Von Beginn an war es für unseren Verband eine moralische Verpflichtung, diesen Spielern zu helfen. Zunächst, um ihnen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, damit sie regelmäßig trainieren und sich messen können, und zweitens, um sicherzustellen, dass sie als Mitglieder in der breiten Fußball-Gemeinschaft willkommen sind.
"Wir stellen in den Vordergrund, dass jeder Georgier die Chance hat, das Spiel in einem sicheren Umfeld zu spielen – entweder in der Freizeit oder professionell. Die Amputierten-Liga und die -Pokalwettbewerbe ins Leben zu rufen, zeigt, wie der Fußball dazu beitragen kann, Leute mit Behinderungen in die Gesellschaft zu integrieren."
Wie läuft das Projekt ab?
"In jeder Saison treten sechs Teams, die fünf georgische Städte repräsentieren, in der Amputierten-Fußball-Meisterschaft an. Es gibt auch den Amputierten-Fußball-Pokal, bei dem die sechs Teams in zwei Gruppen aufgeteilt werden – Osten und Westen –, die Gewinner qualifizieren sich für das Finale. Am Ende der Saison veranstalten wir auch einen Superpokal, in dem der Meister in einem Spiel auf den Pokalsieger trifft.
"Ohne die finanzielle Unterstützung der UEFA wäre nichts davon möglich. Es war essentiell, um das Turnier starten und aufrechterhalten zu können."
Was ist das größte Anzeichen für den Erfolg des Projekts?
"Die Organisation des allerersten Amputierten Champions League Endspiels in Tiflis 2019, zusammen mit dem Europäischen Amputierten Fußballverband.
"Es war ein unvergesslicher Moment mit sechs Klubs, die teilgenommen haben: Everton (England), Cork City (Irland), Ortotek Gazileri (Türkei), Dinamo Altai (Russland), Legia Warschau (Polen) und unser eigener AFC Tbilisi (Georgien).
"Einfach nur die Freude in den Gesichtern der georgischen Amputierten-Spieler zu sehen, die daran teilgenommen haben, dafür hat sich das ganze schon gelohnt."
David Babutsadze, Tbilisi Club
"Fußball hat mein tägliches Leben zum Besseren gewendet und meine Gesundheit sowie Stimmung verbessert. Ich bin stolz, Teil dieser Gemeinschaft zu sein, und freue mich auf neue sowie lohnenswerte Erfahrungen mit dem Spiel."
Besucht den Georgischen Fußballverband (GFF)
Schweden
Andreas Jansson, Kommunikationsdirektor
Wie heißt das Projekt?
"Alla är olika-Olika är bra"
Können Sie das bitte übersetzen
"Jeder ist anders; anders sein ist gut"
Was haben Sie unternommen, um allen in Schweden die gleiche Chance zu geben?
"Wir glauben fest daran, dass wirklich jeder die gleichen Chancen haben sollte, den Fußball zu genießen. Mit Hilfe der UEFA und anderen SvFF-Partnern unterstützt unser Programm für soziale Verantwortung mehrere Initiativen, die sicherstellen sollen, dass Fußball-Träume wahr werden können: unabhängig von Nationalität, Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Talent."
Wie funktioniert dieses Projekt?
"Unterstützt von Schwedens führender Supermarkt-Kette hat es unsere Kampagne "Alla är olika – Olika är bra" hunderten von Fußballklubs erlaubt, Initiativen zu starten, die alle Hindernisse aus dem Weg räumen wollen, mit dem Fußball zu beginnen. Dies kann ein Programm sein, das es Mädchen ermöglicht, Schiedsrichterinnen zu werden oder eines, das eine ausschließlich aus Flüchtlingen bestehende Mannschaft unterstützt – all diese Programme kämpfen für Chancengleichheit."
Wie haben die Schweden reagiert?
"Seit dem Start dieses Projekts im Jahr 2016 haben wir eine Million Euro investiert. Es gibt inzwischen rund 300 Klubs, in denen wirklich jeder willkommen ist. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass jeder das Recht hat, am Fußballgeschehen teilzunehmen und werden all die Klubs unterstützen, die dasselbe Ziel haben."
Emre Gürler, Eskilstuna United DFF-Direktor für Nachhaltigkeit
"Dank des Programms "Alla Är Olika - Olika Är Bra", war unser Klub in der Lage, die Initiative "Hjärta United" (Vereintes Herz) zu starten. Mit Hilfe unserer Spieler kämpfen wir gegen die drängendsten sozialen Probleme in Eskilstuna: Langzeit-Arbeitslosigkeit, Einsamkeit älterer Mitbürger und Gleichberechtigung für junge Mädchen. Wir sind stolz auf das, was wir schon erreicht haben."
Besucht die Seite des Schwedischen Fußballverbandes (SvFF)
Wales
Rob Franklin, Projekt-Manager
Wie heißt das Projekt?
"Wir tragen dasselbe Trikot"
Wie gelingt es dem Fußballverband von Wales, soziale Barrieren einzureißen?
"25 Prozent aller Menschen erfahren in ihrem Leben mentale Probleme, die Hälfte davon vor dem 14. Lebensjahr. Das ist kein Problem für Minderheiten, es betrifft uns alle.
"2015 haben wir ein Projekt gestartet, das den Fußball nutzt, um zu helfen – sowohl um bewusst zu machen, wie viele junge Menschen mentale Probleme haben, als auch um ihnen die Möglichkeit zu bieten, zu trainieren und wieder unter Leute zu gehen."
Wie funktioniert dieses Projekt?
"Erster Schritt ist, das Stigma mentaler Erkrankungen zu überwinden. Um dies umzusetzen, arbeiten wir auch mit halb- und vollprofessionellen Klubs zusammen, eine sichere und freundliche Umgebung für die zu schaffen, die trotz ihrer mentalen Probleme Fußball spielen wollen.
"Dank der Unterstützung der UEFA waren wir in der Lage, das Projekt auf zehn walisische Klubs auszuweiten: Swansea City Community Trust, Newport County in the Community, Cardiff Metropolitan University FC, Cambrian & Clydach Village Trust, Wrexham Inclusion FC, Newtown AFC, Haverfordwest County AFC, Bangor 1876 FC, Penybont FC und Barry Town United AFC."
Woran erkennt Ihr Fortschritte?
"An den atemberaubenden Geschichten der Teilnehmer. Manche behaupten sogar, dieses Projekt habe ihnen das Leben gerettet. Anfangs waren viele von den Jungs ziemlich scheu und nervös. Jetzt ist der Zusammenhalt der Teams wirklich erstaunlich. Es ist fantastisch, wenn man miterleben darf, wie ihr wahrer Charakter langsam wieder zum Vorschein kommt."
Luke Martin, der an Schizophrenie litt, County in the Community
"Vor drei Jahren dachte ich, ich wäre ein Niemand. Ich war überzeugt, dass niemand mich kennenlernen möchte. Inzwischen hat sich so vieles in meinem Leben zum Positiven verändert. Ich habe meine C-Lizenz erworben, jetzt kann ich auf dem Platz denen, die mir geholfen haben, etwas zurückgeben. Das ist ein wunderbares Gefühl. Ich habe jetzt eine viel positivere Einstellung, und zwar nicht nur im Fußball, sondern auch im richtigen Leben."
Besucht die Seite des Fußballverbandes von Wales (FAW)
Wie die Einnahmen der EURO der Unterstützung des Fußballs in Europa dienen
Die UEFA wird rund 65% aller Einnahmen von der UEFA EURO 2020 an seine Mitgliedsverbände und Klubs verteilen. Davon werden fast zwei Drittel über das HatTrick-Unterstützungs-Programm in die Fußballentwicklung reinvestiert, von den Wurzeln bis hin zur Spitze.
Alle 55 UEFA-Mitgliedsverbände erhalten Unterstützung durch das HatTrick-Programm, um so die Entwicklung junger Elitespieler ebenso zu fördern, wie den Breiten- und Frauen-Fußball, die Ausbildung von Trainern, Training für Schiedsrichter und, seit 2016, Initiativen zur sozialen Verantwortung des Fußballs.
Im April 2020, nach der Verschiebung der EURO 2020, hat die UEFA über das HatTrick-Programm 236,5 Millionen Euro an die Nationalverbände ausgeschüttet, damit diese die finanziellen Folgen der Pandemie besser abfedern können. Unter diesen unvorhersehbaren Umständen hat es die UEFA den Verbänden gestattet, in Eigenregie über die Verwendung dieser Gelder zu entscheiden, um so auch langfristig die Zukunft des Fußballs zu sichern.