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Gullit über die EURO '88: One moment in time

Ein erschöpfter Ruud Gullit fand bei der EURO 1988 zunächst nicht zu seiner Form, doch mit der Unterstützung von Trainer Rinus Michels und Sturmpartner Marco van Basten war er zur Stelle.

Gullit über die EURO '88: One moment in time
Gullit über die EURO '88: One moment in time ©UEFA.com

Die Erwartungshaltung an ihn bei der Europameisterschaft 1988 hat Ruud Gullit womöglich zu schaffen gemacht. Er suchte noch nach der Form, die ihn zum besten Spieler der Welt gemacht hatte. Doch mit der Unterstützung von Trainer Rinus Michels, Sturmpartner Marco van Basten und Whitney Houston meisterte er die Herausforderung.

Das Finale war 32 Minuten alt, als Erwin Koeman in München eine halbherzig geklärte Ecke wieder in den Strafraum lupfte. Marco van Basten streckte sich und verlängerte per Kopf in Richtung Fünf-Meter-Raum. Aus dem weißen Knäuel sowjetischer Spieler, die versuchten rechtzeitig an den Ball zu kommen, tauchte plötzlich ein Oranger auf. Es war der Augenblick, auf den Gullit gewartet hatte: Er sprang hoch, seine berühmten langen Rasta-Zöpfe legten sich um den Ball, als er ihn druckvoll an Rinat Dassajew vorbei ins Netz wuchtete. Die Sternstunde der Niederlande war gekommen.

Nach Abpfiff der Partie hatte van Basten sein berühmtes Volleytor geschossen - sein "Jahrhunderttor". Hans van Breukelen hatte einen Elfmeter von Igor Belanow abgewehrt und damit den 2:0-Endstand gesichert. Als Gullit sein Team zur Zeremonie der Pokalübergabe nach oben führte, stand die Zeit still. "Es ist wie im Film, man fühlt sich wie in Trance", sagte er. "Du weißt, der Pokal ist gewonnen und dann weißt du nicht mehr, wie dir geschieht. Es ist, als wären alle anderen nicht da. Man sieht ihn an, und plötzlich denkt man: 'Passiert das gerade wirklich?' Es gibt vieles, an das ich mich nicht mehr erinnere."

Die Amnesie mag teilweise auf die darauffolgende, von überwältigender Freude und Erleichterung geprägte Party zurückzuführen sein. Wie anders war doch die Stimmung 14 Tage zuvor nach der 0:1-Niederlage gegen die UdSSR, als die Niederländer noch ganz am Anfang des Turniers standen. "Das Komische war, dass unser bestes Spiel ‘88 das erste gegen die Sowjetunion war, und das hatten wir verloren, wir waren in einen Konter gelaufen", sagte Gullit. "Es war schwer, da wir fanden, dass wir besser waren, aber nichts vorzuweisen hatten. Von der Partie an mussten wir gewinnen."

"Ich stand unter enormem Druck, da ich so eine gute Saison gespielt hatte. Alle erwarteten, dass es so weiterging – aber ich war erschöpft, ich konnte nicht mehr", gibt er zu. Im Angriff hatte van Basten sicher keine Erschöpfungserscheinungen, da eine Knöchelverletzung nur elf Einsätze in der Meistersaison der Rossoneri zuließ. "Zum Glück für mich war Marco frisch und in guter Form", sagte Gullit. "Ich habe immer zugesehen, dass ich schnellstmöglich zu ihm abspielte. Gegen England gab ich ihm zwei Vorlagen und nach jeder traf er."

Mit seinem dritten Treffer 15 Minuten vor Schluss rechtfertigte van Basten Rinus Michels’ Entscheidung, ihn in die Startelf zu stellen und statt dem 4-3-3 des ersten Spiels auf 4-4-2 umzustellen. Die Niederlande waren bei der EM angekommen, auch wenn sie im nächsten Spiel gegen die Republik Irland, wo ein Sieg Pflicht war, beinahe fatal ins Straucheln geraten wären. Aber dann sah man erst mit Erleichterung Paul McGraths Kopfball an die Latte gehen, bevor sie Minuten vor Schluss ein verrücktes Siegtor erzielten, als Wim Kieft Koemans misslungenen Volleyschuss per Kopf ins Tor abfälschte. "Wir hatten Glück", räumt Gullit ein.

Das war wohl auch ein bisschen verdient, nachdem sie nun die Bundesrepublik Deutschland im Halbfinale erwartete. Die Holländer hatten ihren größten Rivalen 32 Jahre lang nicht mehr geschlagen, unter anderem auch nicht im berühmten FIFA-WM-Finale 1974 (ebenfalls in Deutschland). Lothar Matthäus und Koeman verwandelten je einen Elfmeter in der zweiten Halbzeit, ehe van Basten die Niederländer zwei Minuten vor Abpfiff erlöste, als er in einen Steilpass von Wouters hineinlief, grätschte und den Ball im Rutschen ins lange Eck schob.

"Ein Sieg gegen Deutschland in Deutschland war ein unglaublicher Erfolg, wir hatten das Gefühl, unbesiegbar zu sein", sagte Gullit. "Als wir in den Nachrichten die Bilder aus Holland sahen, war das ein komisches Gefühl. Wir haben es damals aber gar nicht richtig genossen. Erst nach ein paar Tagen begreift man, was man erreicht hat."

Der Sieg war so bedeutend, dass ein Gedichtband zu Ehren des Tages verfasst wurde, aber in der Zwischenzeit war Gullit bemüht, den Tag auf eine etwas aktivere Art zu feiern. "Ich organisierte in einer Disko eine Party für alle Spieler, Spielerfrauen, Journalisten, Fans, einfach alle. Ein Tag vor dem Finale gingen wir auf ein Whitney-Houston-Konzert - ist das nicht unglaublich? Am Finaltag sagten wir: 'Hört mal, alle guten Dinge sind drei: Erst die Party, dann Whitney Houston, jetzt ist der Pokal dran!'"

Zu diesem Zeitpunkt sprach keiner mehr von Erschöpfung. "Vor dem Finale fand ich langsam wieder zu alter Stärke zurück. Ich hatte viel geschlafen, hatte mich viel massieren lassen. Rinus Michels wusste das auch. Vor dem Endspiel sprach er also mit mir: 'Jetzt, wo du wieder fit bist, darfst du die Freistöße wieder schießen.' Das half, und als ich traf – kurz nachdem Dassajew einen guten Freistoß von mir parierte – war das eine sehr große Erleichterung. Aber die UdSSR war auch in guter Form – sie hatten eine gute Mannschaft – es war also ein schweres Spiel, besonders im Mittelfeld. Aber dann schossen wir zwei unglaubliche Tore, besonders van Basten. Und wenn er es noch so oft versuchte, so ein Tor würde er nie wieder schaffen."

Es war nur angemessen, dass van Basten das letzte Wort hatte. Es passte aber auch, dass Gullit die Mannschaft die Stufen des Olympiastadions hochführte, um den Pokal für den ersten großen Titel für die Niederlande in Empfang zu nehmen – auch wenn er sich jetzt nicht mehr daran erinnert. "Ich erinnere mich aber noch an die Heimreise nach Holland", erzählt er weiter. "Wir stiegen ins Flugzeug, und der Kapitän hatte die gute Idee, eine Schleife über Eindhoven zu fliegen. Dann winkten wir allen mit dem Flugzeug zu, so [streckt die Arme aus und wackelt hin und her]. Ich sagte: 'Bring uns einfach nur sicher runter, dann können wir feiern!'"