DFB-Auswahl erkennt ihre Grenzen
Mittwoch, 23. Juni 2004
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Nach dem frühzeitigen EURO-Aus ohne Sieg hadern die Deutschen mit dem Glück und der Harmlosigkeit ihrer Stürmer.
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Keine Stürmer, keine Tore - eine alte Fußball-Weisheit, die mehr denn je für die deutsche Nationalmannschaft bei der UEFA EURO 2004 zutrifft. Die DFB-Auswahl erspielte sich in durchaus ansehnlicher Manier zahlreiche Torchancen, unterlag den mit zahlreichen Spielern aus dem zweiten Glied aufgetreten Tschechen im letzten und entscheidenden Spiel der Gruppe D in Lissabon aber dennoch mit 1:2, weil die Angreifer von Teamchef Rudi Völler auf höchstem europäischen Nievau schlicht nicht stark genug sind.
Zwölf Jahre ohne Sieg bei einer EURO
Damit sind die Deutschen an der Seite zwei weiterer Hochkaräter, Italien und Spanien, bereits nach der Vorrunde ausgeschieden. Sie haben kein einziges Spiel in Portugal gewonnen. Und sie warten seit dem Finalsieg 1996 - pikanterweise gegen Tschechien - überhaupt auf einen Sieg bei einer EURO. 2008 wird es heißen, Deutschland hat bei kontinentalen Titelkämpfen seit zwölf Jahren kein Spiel mehr gewonnen. Im Land des dreifachen Welt- und Europameisters macht sich tiefe Enttäuschung und Frustration breit.
Gut, aber nicht effizient
Wie schon gegen die Niederlande versuchte es Völler mit nur einer Spitze. Zwar ermöglichte den Deutschen das neuerliche 3-6-1-System deutlich mehr Druck nach vorne und durch die Vielzahl der aufgebotenen Mittelfeldspieler ein Übergewicht in der Schaltzentrale wie auch erhöhte Kreativität. Gespielt haben sie gut, die DFB-Kicker - doch effizient war es nicht. Die mangelnde Torgefährlichkeit von dem in Hälfte eins mutterseelend alleine attackierenden Kevin Kuranyi sowie den später eingewechselten Lukas Podolski und Miroslav Klose waren dafür ausschlaggebend.
Gegen Reservisten verloren
Katastrophal vor allem, dass man nicht einmal fähig war, eine von vielen Reservisten besetzte tschechische Mannschaft zu schlagen. Und das, obwohl das deutsche Team spielerisch auf ihrem Top-Niveau spielte. "Wir haben alles versucht, man kann uns keinen Vorwurf machen", nahm Völler seine Elite-Kicker anschliessend in Schutz.
Unverdiente Niederlage
Eine Niederlage hatten sie wahrlich nicht verdient, die Völler-Schützlinge. Gleichwohl kam dieser freilich nur zustande, weil die Deutschen beim Stande von 1:1 volle Offensive spielen mussten und durchaus das Risiko eingehen mussten, einen Konter zu fangen. Doch eine Mannschaft, die um den Titel des Eurpomeisters mitspielen möchte, muss ein solches Spiel eigentlich sicher nach Hause fahren.
Ballack ein Lichtblick
Dennoch: Es gibt auch Positves. Spielmacher Michael Ballack präsentierte sich endlich wieder als der Alte, führte Regie und trieb das deutsche Team immer wieder an. Wie schon im ersten Spiel gegen die Niederlande (1:1) deutete er auch gegen die Tschechen seine Weltklasse mehrfach an. Er war es zudem, der die deutschen Fans nach einem herrlichen Führungstreffer hoffen ließ. Um Ballack herum kann, muss und wird eine neue deutsche Mannschaft mit Blickrichtung Weltmeisterschaft aufgebaut.
"Junge Wilde"
Und auch die drei "Youngster" Arne Friedrich, Phillip Lahm und Bastian Schweinsteiger deuteten an, künftig Leitfiguren im neuen DFB-Korsett sein zu können. Während Lahm gegen die Tschechen vor allem in der zweiten Halbzeit für den meisten Druck sorgte, gab Friedrich der Defensive Sicherheit und leitete intelligent das Spiel nach vorne ein. Schweinsteiger gab dem wie immer statischen Spiel den kreativen Schliff und zeichnete stets fuer Überraschungsmomente verantwortlich.
Nicht alles schlecht
Der deutsche Fussball hat sich trotz des durchaus trügerischen 1:2 gegen die Tschechen nicht von seiner schlechtesten Seite gezeigt. Gleiches gilt für den gesamten Turnierverlauf. Man ist entgegen den Erwartungen in der Lage, spiele auch offensiv zu dominieren, nur eben, man strahlt kaum Torgefahr aus. Perspektive hat die deutsche Auswahl nur dann, wenn neue Stürmer europäischer Klasse heranwachsen, die in die Fußstapfen ihres eigenen Teamchefs treten können.
Völler enttäuscht
Völler war die Enttäuschung sichtlich anzumerken: "Es ist zwar nicht das gleiche Debakel wie 2000, doch es ist nicht gut. Wenn man unter den 16 besten Teams Europas ausscheidet, ist das unbefriedigend."
"Wir haben einige Defizite"
Auch der DFB-Teamchef gibt zu, dass die offensichtlichen Sturmprobleme das grosse Manko der deutschen Mannschaft bei der EURO war: "Wir haben 100 Prozent gegeben, doch wir haben einige Defizite, die sich in den Testspielen und in diesem Turnier offenbart haben." Der ehemalige Weltklassestürmer blickt aber dennoch optimistisch nach vorne: "Die Zukunft sieht rosiger aus. Lahm und Schweinsteiger sind zwei Beispiele dafür."
"Positiv nach vorne schauen"
Friedrich analysierte die Partie wie folgt: "Wir können uns keinen Vorwurf machen. Wir haben gut gespielt, aber unsere Chancen nicht genutzt." Zugleich befand sich der junge Verteidiger von Hertha BSC Berlin in einem Wechselbad der Gefühle: "Wir sind natürlich enttäuscht, das ist klar. Doch wir sind eine sehr junge Mannschaft. Das lässt positiv nach vorne schauen."
Völlers Zukunft offen
Was Völlers Zukunft angeht, werden die Medien nun sicher die Spekulationen anheizen. Vor allem, weil Erfolgstrainer Ottmar Hitzfeld zur Verfügung stehen würde. Der DFB-Teamchef sagte unmittelbar nach dem Tschechien-Spiel zu diesem Thema: "Ich habe einen Vertrag bis 2006, die WM ist darin eingeschlossen. Wir werden nun in Ruhe die EM analysieren."
Tschechen überglücklich
Freudestrahlend zeigten sich die Tschechen nach dem 2:1-Sieg. Spielmacher Tomas Rosicky sagte: "Für mich und alle Spieler, die in Deutschland spielen, war der Sieg etwas ganz besonderes." Und Nationaltrainer Karel Brückner erklärte: "Ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft. Wir haben gezeigt, dass es bei uns kein A- und B-Team gibt."