Einschätzung der UEFA-Experten
Donnerstag, 23. Juni 2016
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Späte Tore, eine niedrige Torquote und viele Flanken – die technischen Beobachter der UEFA, David Moyes und Thomas Schaaf, sprechen über das, was ihnen in der Gruppenphase der UEFA EURO 2016 auffiel.
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David Moyes, der frühere Trainer von Everton, Manchester United und Real Sociedad spricht mit Thomas Schaaf, dem ehemaligen Trainer von Werder Bremen, Eintracht Frankfurt und Hannover, über die Trends und Taktiken in der Gruppenphase der UEFA EURO 2016.
EURO2016.com: Die Torquote pro Spiel liegt bisher bei 1,92 – die niedrigste bei einer EURO seit 1980. Warum?
David Moyes: Meiner Meinung nach sind die Teams jetzt viel besser organisiert und vorbereitet. Mit den zusätzlichen Mannschaften, die jetzt bei der EURO dabei sind, gibt es eine größere Diskrepanz zwischen den großen Teams und den anderen, deshalb denken die kleineren Teams, dass sie ein besseres Ergebnis erzielen können, wenn sie gut verteidigen und kompakt bleiben, sie gehen nicht wirklich aus sich heraus.
Thomas Schaaf: In der Gruppenphase haben die Teams von Beginn an auf Sicherheit gespielt, deshalb haben wir im Moment in der zweiten Halbzeit doppelt so viele Tore wie in der ersten. Die sogenannten kleineren Teams wie Island sind sehr kompakt in der Verteidigung und haben das gut gemacht.
DM: Frankreich hat nicht viele Tore kassiert, Deutschland auch nicht, die Topnationen kassieren auch nicht viele Tore. Aber diese Länder haben oft Spieler, die den Unterschied machen können, und das haben wir an manchen Leistungen der Topspieler gesehen.
EURO2016.com: Bisher wurden 19 von 69 Toren nach der 80. Minute erzielt – 27,54% insgesamt. Zeigt sich so die besondere Qualität, wenn der Gegner müde wird?
DM: Es ist die Folge von einem Angriff nach dem anderen, dass man dabei gut verteidigen muss und konzentriert bleibt – es gibt die physische Müdigkeit, aber auch die mentale. Es zeigt, dass man physisch in guter Verfassung sein muss, um 90 oder 95 Minuten Fußball zu spielen. Wir haben viele späte Tore gesehen, aber es sind hauptsächlich die besseren Teams, die ihre Gegner müde gespielt haben.
TS: Die großen Teams haben mehr Erfahrung, sie wissen, dass man 90 Minuten Zeit hat und spät treffen kann. Die individuelle Qualität zeigt sich vielleicht deutlicher, wenn das Spiel in die entscheidende Phase geht und man etwas Besonderes braucht, um zu gewinnen.
DM: Die großen Teams haben Qualität, die von der Bank kommt – Frankreich und Deutschland haben es getan, und England eigentlich auch – während die kleineren Nationen immer das beste Team spielen lassen.
TS: Viele Tore wurden von eingewechselten Spielern erzielt. Wenn man diese Qualität im Kader hat und den Wechsel machst, kannst du mehr nach vorne spielen. [Als Trainer] kann man mehr individuelle Qualität bringen, wenn man gesehen hat, wie sich das Spiel entwickelt und wie man es verändern kann.
EURO2016.com: Was stach Ihnen ins Auge über die Art und Weise, wie die Teams angreifen, und versuchen diese organisierten Verteidigungen zu durchbrechen?
TS: Manche Teams bauen ihren Angriff geduldig auf, haben dann aber Probleme, wenn sie sich dem Strafraum nähern. Wir haben viele Spiele gesehen, in denen große Teile des Ballbesitzes in Zonen stattfanden, aus denen du nicht treffen kannst. Mit diesen kompakten Verteidigungen ist es schwer, deshalb muss man über die Flügel gehen und deshalb haben wir viele Flanken gesehen.
Manche Teams spielen schnell und risikoreich – ich habe das bei England und Wales gesehen, aber es kommt auf die Spieler an und schnelle Leute wie Raheem Sterling oder Gareth Bale werden gleich nach vorne gehen. Bei sehr erfahrenen Teams wie Spanien oder Deutschland ist das anders.
DM: Der Ballbesitz ist immer im mittleren Drittel des Platzes. Die besseren Teams wie Deutschland oder Spanien kommen auch ins letzte Drittel und spielen ein Spiel, bei dem sie versuchen, den letzten Pass zum Tor zu spielen. Aber wegen der kompakten Verteidigungen spielen viele Teams über außen und flanken viel.
Manche der Flanken sind großartig, und wir haben tolle Kopfballtore gesehen. Durch offensiv ausgerichtete Außenverteidiger sehen wir viele Flanken, und nicht alle von der Außenlinie – es gibt Variationen wie Diagonalbälle oder Pässe in den Rücken der Abwehr. Kroatiens Darijo Srna war in der Offensive wirklich stark.
Ivan Perišić spielt auch weit außen, wie ein klassischer Flügelspieler. Vor den letzten Abenden haben wir wenige Kontertore gesehen, weil Teams sich schnell wieder organisieren, wenn sie den Ball verlieren. Wales ist ein Team, das es getan hat.
TS: Vielleicht eines der beeindruckendsten Tore war Deutschlands gegen die Ukraine, als Bastian Schweinsteiger nach einem tollen Konter nach einer Ecke traf.
DM: Wenn das Turnier weitergeht und das Niveau der Teams ähnlicher ist, werden wir vielleicht mehr sehen. Manche Teams hatten bisher Angst, höher zu stehen, deshalb gab es nicht so viele Konterchancen. Ab jetzt wird es vielleicht mehr Räume gehen.
David Moyes und Thomas Schaaf sind Teil einer Gruppe aus technischen Beobachtern, die zu jedem Spiel der UEFA EURO 2016 gehen und einen technischen Bericht erstellen werden, der im September auf den UEFA-Plattformen verfügbar sein wird.