Joachim Löw über Deutschlands EURO-Chancen
Sonntag, 29. Mai 2016
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Der Weltmeister hat sich am Sonntag beim 1:3 gegen die Slowakei nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Trotzdem geht Joachim Löw mit viel Vorfreude in die EURO-Endrunde.
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Wie hat sich Deutschland seit dem WM-Sieg und dem Rücktritt von Philipp Lahm, Miroslav Klose und Per Mertesacker entwickelt?
Diese drei Spieler fehlen uns natürlich, weil sie Spieler waren, die die Mannschaft sehr gut geführt haben und positiv beeinflussen konnten. Alle drei hatten wahnsinnig viel Erfahrung und fanden immer Gehör in der Mannschaft.
Dadurch gab es bei uns natürlich einen Umbruch in der Hierarchie. Andere Spieler, die jetzt auch eine gewisse Turniererfahrung haben wie Manuel Neuer, Thomas Müller, Mats Hummels, Jérôme Boateng und natürlich Bastian Schweinsteiger müssen jetzt in diese Rollen wachsen und die Aufgaben erfüllen.
Sportlich gesehen war es natürlich schwierig nach der WM, den richtigen Drive einfach sofort wieder zu finden nach so einem Erlebnis. Wir hatten ein bisschen Schwierigkeiten und wir wissen natürlich auch, dass wir uns steigern müssen bei der EM, wenn wir eine Chance haben wollen.
Wie stufen sie mit etwas Abstand die Leistungen in der Qualifikation ein?
Es ist ja klar, dass alle Mannschaften gegen den Weltmeister das Spiel des Jahres oder des Jahrzehnts sehen. Dann kämpfen sie natürlich um jeden Ball und jeden Meter und versuchen, eine Sensation zu schaffen. Die WM hat uns viel Kraft gekostet und einige Spieler waren in den Monaten darauf häufig verletzt. Es gab immer Umstellungen und wir konnten uns nicht so richtig einspielen und dadurch mussten wir kämpfen, um die Qualifikation zu schaffen.
Wir hatten dann die Qualität, das zu tun und haben wichtige Spiele wie zu Hause gegen Polen oder in Schottland gewonnen. Es war schon auch eng und wir sind noch nicht in EM-Form, aber ich mache mir keine Sorgen. Die Mannschaft hat sehr viele Fähigkeiten und Qualitäten und deshalb weiß ich, dass wir hochschalten können.
Wo es uns in der Qualifikation gemangelt hat, war an der Effizienz. Wir hatten auch in Spielen, die wir verloren haben, viele Möglichkeiten, aber wir sind damit fahrlässig umgegangen.
In der Qualifikation spielte Deutschland in der Regel ohne ausgesprochenen Mittelstürmer. Ist das Plan A oder Plan B?
Es war ja auch schon während der WM und davor so – wir haben verschiedene Varianten getestet. Mario Gomez ist wieder erstarkt im letzten Jahr, hat wieder Selbstbewusstsein gewonnen und war nicht mehr verletzt.
Aber wir haben auch immer Alternativen mit Spielern wie Müller, wie Marco Reus, André Schürrle, Mesut Özil, Mario Götze, die immer wieder in die Spitze stoßen und mehr aus der Tiefe kommen. Das kann für die Gegner auch schwer zu berechnen sein.
Was denken Sie über die Gruppe C mit Nordirland, der Ukraine und Polen?
Polen kennen wir gut. Nordirland ist eine kleine Überraschung, die haben wirklich eine tolle Qualifikation gespielt. Man kennt den Spielstil natürlich: Kopfballstark und haben viele Tore nach Standards gemacht.
Gegen Mannschaften wie die Ukraine sind es immer unangenehme Spiele, weil gerade diese Spieler körperlich stark sind, ihren Körper gut einsetzen und für ihre Größe in der Regel relativ schnell sind. Sie verstehen es, umzuschalten. Wir haben keine einfache Gruppe.
Gibt der WM-Titel Ihnen persönlich zusätzliche Motivation, das Double aus WM und EURO zu gewinnen?
Das ist natürlich eine besondere Motivation und Herausforderung. Nach der WM hat es zwei, drei, vier Monate gebraucht, bis alle wieder die Orientierung hatten und ein Ziel ausgegeben wurde. Das betraf auch mich als Trainer: Es ist nicht immer einfach, sofort wieder eine neue Zielsetzung zu finden.
Aber im Laufe der letzten Monate haben wir uns wieder fokussiert. Bei der EURO 2012 sind wir im Halbfinale ausgeschieden, das war nicht so erfreulich, 2008 haben wir im Finale verloren. Von daher wäre es natürlich schön für alle.
Ist Deutschland einer der Favoriten auf die EURO?
Ja, aber nicht der alleinige Favorit. Natürlich gehört Frankreich zum Favoritenkreis als Heimnation mit starken Spielern wie Paul Pogba; auch die Spanier sind nach wie vor auf einem wahnsinnig hohen Niveau. Italien und England sind wieder besser geworden, Belgien möchte man nicht vergessen. Es gibt schon einige Mannschaften, und bei so einem Turnier weiß man, dass es nichts bringt, als Favorit reinzugehen.
Man muss sich im Turnier nach vorne arbeiten, seine Form haben und die Form bestätigen, darf keine Verletzungen haben. Man muss genau auf den Punkt topfit sein, und das ist schwierig. Alle Turniere sind schwierig, aber es macht uns immer Spaß und wir freuen uns auf den Sommer.