EURO-Kultstars: 1972 – Günter Netzer
Sonntag, 20. März 2016
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Mit seinen unbestrittenen Fähigkeiten war Günter Netzer einer der Superstars bei der EURO 1972 und führte die Bundesrepublik Deutschland zum Titel, und auch abseits des Platzes war er ein charismatischer Zeitgenosse.
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EURO-Kultstars: Günter Netzer
1972: Nahe an der Perfektion
Nie war das Niveau der deutsche Nationalmannschaft vor der Ära von Joachim Löw besser als bei dem Turnier 1972. Mit einem genial aufspielenden Netzer, der nur aufgrund der Verletzung von Wolfgang Overath in der Mannschaft steht, erlebt der DFB Sternstunden im Wembley (beim Viertelfinalerfolg über England) und Heysel (Finalsieg gegen Russland).
Zwei Ballkontakte für die Ewigkeit
Netzer spielte in seiner gesamten Karriere für nur drei Vereine. Nach 21 Jahren im Trikot von Borussia Mönchengladbach (Jugend inklusive) entschied er sich für einen Wechsel zu Real Madrid, was bei der Fohlenelf einer Gotteslästerung nahe kam.
In den letzten Wochen der Saison verschlechterte sich sein Verhältnis mit Trainer Hennes Weisweiler so sehr, dass dieser ihn im Pokalfinale gegen den 1. FC Köln auf die Bank setzte. Der Kapitän in seinem allerletzten Auftritt strafversetzt und zum Zuschauen verdammt? Die Fans waren schockiert, Netzer reagierte perplex, aufgebracht und beleidigt.
Zur Halbzeit wollte Weisweiler seinen Spielmacher einwechseln, doch der weigerte sich. Der Rest ist Geschichte. Kurz vor Ende der regulären Spielzeit (beim Stand von 1:1) verletzte sich Christian Kulik, Netzer zog seine Trainingsjacke aus und sagte beiläufig zum Trainer: "Ich spiele jetzt." Zwei Ballkontakte später rauschte die Kugel in den Winkel und die Borussia war Pokalsieger. Netzers Selbsteinwechselung wird für immer eine der denkwürdigsten Anekdoten in der deutschen Fußballgeschichte bleiben.
Popstar
In Sachen Eigen-PR leistete Netzer Pionierarbeit in der Fußballbranche und war so etwas wie der David Beckham oder Cristiano Ronaldo der 70er-Jahre. Sein Hang zu extravaganten Auftritten und seine teils rebellische Art machten ihm zu dieser Zeit nicht nur Freunde, doch für die Medien war der Mann mit der blonden Mähne ein Glücksfall.
Der begnadete Techniker versteckte seine Vorlieben für schnelle Autos und schöne Frauen nicht, zudem wusste er schon damals mit ungeschönt kritischen und teilweise selbstherrlichen Meinungen zu polarisieren.
Der Geschäftsmann
An guten Tagen ein Genie - an (wenigen) schlechten Tagen ein Ärgernis für seine Mitspieler. Ein Laufwunder war Netzer nicht, deshalb mussten andere für ihn die Drecksarbeit erledigen. Abseits des Rasens aber war er ein Hans Dampf in allen Gassen.
Noch zu seiner aktiven Zeit gab er die Gladbacher Stadionzeitung heraus, später war er erfolgreicher Manager beim HSV, Disko-Betreiber, Inhaber einer Werbeagentur und handelte mit Fernsehrechten. Zwischendurch verkaufte der gewiefte Geschäftsmann auch mal einen Ferrari an Franz Beckenbauer, der diese kurz darauf als "Schrottkarre" bezeichnet haben soll.
Comedy und Fußballsachverstand
An der Seite von Moderator Gerhard Delling begleitete Netzer viele Jahre lang die Spiele der deutschen Nationalmannschaft. Das eigentliche Spiel konnte noch so schlecht sein, für Unterhaltung sorgte das als "Netzdelle" bekannte Duo eigentlich immer.
Ihre Dialoge - von beißenden Nadelstichen, erfrischender Selbstironie, aber manchmal auch von Ungläubigkeit aufgrund unerhörter Aussagen und gespenstischer Stille geprägt - brachten dem Duo den Grimme-Preis ein.
Die enge Freundschaft lebten beide hauptsächlich abseits der Kameras aus. Netzer war on-air voll in seinem Element. Hier ein kleiner Auszug seiner an Delling gerichteten Kommentare:
"Das ist eine sehr kluge Frage von Ihnen, ich bin überrascht."
"Ich bin der Fußballästhet und Sie sind der Mann für das Rustikale"
"Wayne Rooney ist unberechenbar, aber Fabio Capello kann nicht ohne ihn. Er ist wie Sie. Sie sind auch unberechenbar, aber Sie werden nicht ausgewechselt."
"Ich arbeite seit 13 Jahren in einer vergifteten Atmosphäre mit diesem Mann. Ich bin ein Held."