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Die Neuner: Guardiolas doppelte falsche Neun, Messi als Prototyp der falschen Neun und klassische Neuner

Wie die falsche Neun bei Manchester City für numerische Überlegenheit sorgt und die klassische Neun Chelsea dazu verhilft, Abwehrreihen auseinander zu ziehen.

Kevin De Bruyne wurde bei Manchester City letzte Saison als falscher Neuner eingesetzt
Kevin De Bruyne wurde bei Manchester City letzte Saison als falscher Neuner eingesetzt Getty Images

Von falschen Außenverteidigern bis hin zur Bedeutung der Anpassungsfähigkeit: Wir untersuchen einige der wichtigsten Themen aus dem Technischen Report der UEFA Champions League 2020/21.

Hier nehmen wir insbesondere den Ansatz von Pep Guardiola unter die Lupe, der letzte Saison in der Champions League in einem 1-4-4-2-System auf zwei falsche Neuner zurückgriff. Ein Jahrzehnt zuvor hatte er bei Barcelona diese Interpretation des Mittelstürmers mit Lionel Messi im vordersten Zentrum eines 1-4-3-3-Systems bekannt gemacht.

Mit diesem System wollte er numerische Überlegenheit im vorderen Drittel herstellen. Guardiola machte sich dies auch zunutze, weil Manchester City über weite Strecken keinen klassischen Mittelstürmer zur Verfügung hatte. Im Gegenteil dazu wurde Timo Werner von den Technischen Beobachtern für seine Laufwege gelobt, mit denen er die Organisation gegnerischer Abwehrreihen störte. Ein Beispiel dafür ist die Entstehung von Chelseas Tor im Finale.

Guardiola doppelte falsche Neun

Die hängende Spitze – auch falsche Neun genannt – ist seit geraumer Zeit in aller Munde. Messi füllte diese Rolle in Barcelonas 4-3-3 unter Guardiola mit Bravour aus. Immer wieder ließ er sich ins Mittelfeld zurückfallen, um dort für numerische Überzahl zu sorgen und als entscheidendes Rädchen in der gefürchteten Passmaschinerie zu fungieren. Zehn Jahre später setzte Guardiola bei Manchester Citys erstem Finale in der Champions League gleich auf zwei hängende Spitzen.

"Wir müssen das unglaubliche Coaching von Pep Guardiola bei City hervorheben. Er baute ein Team auf, das auch ohne echten Stürmer viele Tore erzielen kann", lobte Roberto Martínez die Vision seines Landsmanns. "Meiner Meinung nach spielte City in dieser Saison ohne Nummer 9 besser als mit echter Spitze."

Manchester City mit zwei falschen Neunern im Spiel gegen Dortmund
Manchester City mit zwei falschen Neunern im Spiel gegen Dortmund

Wie von Martínez bereits angedeutet, hat die Formation mit zwei hängenden Spitzen zwei vorrangige Ziele. Zum einen soll eine Überzahlsituation geschaffen werden, indem der Spieler zum Ball und nicht in die entgegengesetzte Richtung zum Tor geht. Gegen eine tief stehende Abwehr werden sich intelligente Angreifer immer wieder „freilaufen können, da die zentralen Abwehrspieler nicht jeden Weg mitgehen werden“, so Martínez. Dabei hilft es natürlich, einen Ausnahmekönner wie Kevin De Bruyne in den eigenen Reihen zu haben, der zwischen die Linien gehen, als Schaltstation fungieren und die Läufer bedienen kann. „Man weiß einfach, dass er den Raum finden, die richtige Entscheidung treffen, sich drehen und diesen Pass in die Tiefe spielen wird“, so Martínez weiter. Dabei sind intelligente Laufwege Grundvoraussetzung, da man sonst „nicht genügend Spieler im letzten Drittel haben wird.“

Patrick Vieira bekräftigte diesen Punkt: „Man muss hervorheben, wie intelligent diese Spieler sind. Wenn sich eine falsche Neun zurückfallen lässt, müssen die Teamkollegen genau wissen, wie sie den dadurch entstehenden Raum offensiv nutzen. Spielern wie De Bruyne oder Gündoğan muss man das nur einmal erklären, dann haben sie es verinnerlicht. Ein Trainer freut sich natürlich, wenn er derart gute Leute im Kader hat und sie kreativ einsetzen kann.“

Das zweite Ziel einer Formation mit hängender Spitze ist es, bei gegnerischem Ballbesitz Druck auszuüben. Während Martínez jedem Angreifer attestiert, dass er „weiß, wie er sich in der Pressinglinie zu verhalten hat“, nahm er bei den hängenden Spitzen von City eine unglaubliche Energie und Intensität wahr, die ein klassischer Mittelstürmer wie Sergio Agüero aufgrund seines Alters und Spielertyps wohl nicht mehr aufbringen konnte.

Messi - Prototyp der falschen Neun

Lionel Messi als falscher Neuner gegen Paris
Lionel Messi als falscher Neuner gegen Paris

Im Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain wurde Messi als hängende Spitze aufgeboten und auf den Seiten von Ousmane Dembélé und Antoine Griezmann flankiert. Während Messi dazu neigte, sich noch weiter zurückfallen zu lassen, zog Griezmann immer wieder nach innen auf die zentrale Position, während sich Jordi Alba auf der linken Seite ins Angriffsspiel einschaltete. Um den Gegner jedoch richtig in die Bredouille zu bringen, braucht es laufstarke Spieler. Gegen PSG übernahm Frenkie de Jong diesen Part: Nachdem sich Messi zurückfallen ließ, stieß de Jong in die Spitze vor und holte so den Elfmeter heraus, der Barça die Führung bescherte.

Und die klassischen Neuner?

Während die taktische Raffinesse von Guardiolas System mit zwei hängenden Spitzen zu den augenscheinlichsten Innovationen der abgelaufenen Saison gehörte, fielen den technischen Beobachtern der UEFA auch die intelligenten Laufwege von Chelseas (echtem) Angreifer Timo Werner auf. So wie sein Sprint auf die linke Angriffsseite vor dem 1:0 im Finale Rúben Dias aus dem Abwehrzentrum lockte, waren seine intuitiven Läufe von herausragender Bedeutung für das offensive Umschaltspiel von Chelsea.

Martínez meinte dazu: "Diese Dinge sollten wir jungen Spielern in der Ausbildung noch viel häufiger zeigen. Aktuell dreht sich alles um den Ball, alle wollen irgendwie an den Ball kommen. Dabei sehen wir hier, was ein Spieler bewirken kann, dessen einziger Gedanke nach einer Balleroberung darin besteht, das Spiel in die Breite zu ziehen."

Chelseas Timo Werner im Finale der UEFA Champions League
Chelseas Timo Werner im Finale der UEFA Champions LeagueUEFA via Getty Images

John Peacock wies darauf hin, dass Nachwuchstrainer ihren Schützlingen auch traditionelle Angriffsoptionen beibringen sollten. Verteidigt der Gegner beispielsweise hoch, sind es klassische Angreifer wie Werner, die hinter die Linie laufen können. Ähnlich sah es auch Packie Bonner, der beobachtete, dass ein echter Mittelstürmer durch bestimmte Strafraumpositionen oder -läufe – z.B. zum kurzen Pfosten – dafür sorgen kann, dass ein Innenverteidiger seine angestammte Position verlässt. Als Beispiel führte er eine Szene aus dem Finale an, als Kyle Walker eine Flanke in den Strafraum schlug: "Man konnte sehen, wie der Torhüter keine Mühe hatte, den Ball zu fangen, da sich alle anderen Spieler an der Strafraumgrenze aufhielten."

Martínez äußerte anschließend die Sorge, dass in den Jugendakademien der Fokus vornehmlich auf dem Bereich zwischen den Strafräumen liege. Die vermittelten Konzepte beruhten dabei vorrangig auf Ballbesitz. Das bedeutet, dass nicht mehr so viele klassische Mittelstürmer vom Schlage eines Karim Benzema, Robert Lewandowski oder Romelu Lukaku ausgebildet werden. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet dabei lediglich Erling Haaland.

"Man sieht deutlich, dass es im Männerbereich immer weniger Mittelstürmer gibt, die in 1-gegen-1-Situationen für den Unterschied sorgen. Wenn es der zentrale Angreifer mit einem robusteren, besseren und schnelleren Verteidiger zu tun hat, wird es sehr schwer, eine gegnerische Viererkette zu knacken. Dann ist es einfacher, in den Akademien so weiterzumachen wie bisher – alles dreht sich um den Bereich zwischen den Strafräumen und um Ballbesitz. Die Spieler sollen möglichst keine Fehler machen und die Kugel in den eigenen Reihen halten. Dadurch geht der Instinkt der echten Straßenfußballer verloren."

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