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Das Wunder von Istanbul: Hamann erinnert sich an Liverpools Triumph von 2005

Das Finale der UEFA Champions League 2023 findet in Istanbul statt, der Stadt also, in der Liverpool 2005 das größte Comeback in der Geschichte der Königsklasse geschafft hat. Dietmar Hamann erinnert sich an die erfolgreiche Aufholjagd der Reds im Finale von Istanbul.

Reds-Kapitän Steven Gerrard 2005 mit dem Pokal nach dem "Wunder von Istanbul"
Reds-Kapitän Steven Gerrard 2005 mit dem Pokal nach dem "Wunder von Istanbul"

UEFA.com blickt zurück auf den sensationellen Sieg des FC Liverpool im Finale der UEFA Champions League 2005 gegen den AC Milan. Schauplatz war damals das Atatürk Olympiastadion, die Arena also, in der auch das Finale 2023 stattfinden wird.

So lief das Champions League-Finale 2005

1. Maldini gelingt das schnellste Tor der Finalgeschichte
39. Crespo vollendet einen schnellen Konter zum 2:0
44. Crespo macht mit dem 3:0 scheinbar alles klar
54. Gerrard köpft eine Riise-Flanke zum 1:3 ein
56. Smicer verkürzt per Flachschuss
60. Alonso trifft per Elfmeter zum Ausgleich


Die Vorgeschichte

Liverpool gegen Milan: Das Finale 2005

Dietmar Hamann, Mittelfeldspieler von Liverpool
Zweifellos hatten sie [Milan] die bessere Mannschaft. Jeder, der das nicht einsieht, sollte mal zum Arzt gehen [...] das war eine Weltauswahl. Ich denke, dass das sogar eine der besten Mannschaften der letzten drei oder vier Dekaden war. Auch im direkten Vergleich Mann für Mann waren sie uns in jeder Hinsicht überlegen [...] das heißt aber nicht, dass sie auch das bessere Team waren.

Unsere große Stärke war unser Teamspirit, wir zogen alle an einem Strang und wir wussten, dass wir uns aufeinander verlassen konnten. Nachdem wir im Viertel- und Halbfinale zwei sehr gute Mannschaften geschlagen hatten [Juventus und Chelsea], waren wir sehr zuversichtlich, dass wir dem AC Milan einen heißen Fight liefern oder ihn sogar besiegen würden.

In der Umkleide

Steven Gerrard, Djibril Cissé und Jamie Carragher mit dem Pott
Steven Gerrard, Djibril Cissé und Jamie Carragher mit dem PottBob Thomas Sports Photography via Getty

Als Rafa in der Kabine die elf Spieler bekannt gab, die anfangen würden, war das ein harter Schlag für mich. Schon in den Tagen zuvor entwickelt man ein Gefühl dafür, ob man spielt oder nicht und ich war mir absolut sicher, von Beginn an dabei zu sein. Logisch, dass die Enttäuschung [auf der Bank zu sitzen] riesengroß war.

Harry [Kewell] war ein herausragender Spieler [...] sicher einer der fünf oder sechs besten, mit denen ich je in einer Mannschaft gestanden habe. Er hatte große Teile der Saison verpasst, aber der Trainer hatte beschlossen, ihn von Beginn an auflaufen zu lassen und das musste ich akzeptieren, weil es ja schließlich ein Mannschaftsspiel ist und [...] du die Spiele nicht alleine gewinnen kannst.

Nach einigen Minuten [der Enttäuschung] ist es ganz wichtig, die richtige Einstellung zurückzubekommen, weil es ja jederzeit eine Verletzung eines Mitspielers beim Aufwärmen oder in den ersten Spielminuten geben kann, wie es ja auch passiert ist [bei Kewell in der 23. Minute], und dann musst du zu hundert Prozent sofort in der Lage sein, deinem Team zu helfen.

Die erste Hälfte

2005 Endspiel-Highlights: Liverpool - Milan 3:3 (3:2 n.E.)

Als wir gleich in der ersten Minute ein Tor kassierten, dachte ich mir noch: "Besser in der ersten als in der 89., wir haben ja noch jede Menge Zeit". Nach einer halben Stunde fällt [Alessandro] Nesta, als ihn Luis García ausspielen wollte, mit der Hand auf den Ball, das hätte eigentlich ein Elfmeter sein müssen. Im direkten Gegenzug fällt das 2:0 für Milan.

Dann spielt Kaká einen herrlichen Pass auf [Hernán] Crespo, der das 3:0 erzielt, ein wunderschönes Tor. Bei diesem Tor hat man die ganze Klasse von Milan gesehen. Es war so schön anzusehen, dass ich mich kneifen musste und dachte , "Wow! Wenn die uns schlagen, soll es halt so sein."

Halbzeit: Milan - Liverpool 3:0

Dietmar Hamann und John Arne Riise nach dem Finale
Dietmar Hamann und John Arne Riise nach dem FinaleGetty Images

Ich habe mich noch nie in meiner Karriere so leer gefühlt. Ich sah keine Chance für uns, nochmal [ins Spiel] zurückzukommen. [Rafael Benítez] sagte, dass wir wechseln würden. Ich kam rein, damit Steven Gerrard etwas weiter vorne spielen konnte, weil er unser torgefährlichster Spieler war.

Wir waren immer dann besonders stark, wenn es ein verbissener Kampf war. Ich dachte mir, "mal sehen, was passiert, wenn wir auf 2:3 herankommen." Klar ist das eine Weltklasse-Mannschaft, aber auch die besten Teams machen unter Druck manchmal Fehler. Vom Moment des Pausenpfiffs bis hin zum Betreten des Platzes 15 Minuten später hatte sich meine Einstellung komplett geändert. Ich habe jetzt nicht geglaubt, dass wir dieses Spiel gewinnen, aber ich hoffte, dass wir sie zumindest ein bisschen ärgern könnten.

Die zweite Hälfte

Vladimír Šmicer nach dem 2:3
Vladimír Šmicer nach dem 2:3Getty Images

Als ich reinkam, hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass wir innerhalb von 15 oder 16 Minuten drei Tore erzielen. Als Xabi Alonso den Abpraller verwandelte, waren 59:04 Minuten gespielt. Manchmal vergisst man die Zeit. Je länger das Spiel dauert, desto öfter blickt man auf die Uhr, weil das natürlich nicht unerheblich dafür ist, welche Entscheidungen man auf dem Platz trifft. Als ich auf die Uhr blickte, hatte ich eigentlich erwartet, dass schon 76 oder 77 Minuten gespielt wären.

Diese Tore zu erzielen, hat uns eine enorme emotionale Energie gekostet. Die Fans waren wieder da, wir waren wieder da, die komplette Stimmung im Stadion hatte sich gedreht.

Luis García beim Torjubel
Luis García beim TorjubelGetty Images

Wir mussten nach dem 3:3 unsere Taktik komplett ändern, vor allem in der Verlängerung. Du kannst nicht 90 Minuten Vollgas geben, es gibt immer verschiedene Phasen. Da geht es auch um die Einteilung der Kräfte und die Spielintelligenz, wir hatten zum Glück einige Spieler in unseren Reihen, die damit reichlich gesegnet waren. Jamie Carragher war einer von ihnen. Er konnte das Spiel brillant lesen und wir wussten zu jeder Zeit des Spieles, was wir zu tun hatten, ohne dass uns unser Trainer dies hätte sagen müssen.

Sie haben dann großartige Spieler eingewechselt, Rui Costa, Jon Dahl Tomasson und Serginho, und wir standen mit dem Rücken zur Wand, wir waren komplett in die Defensive gedrängt, weil wir in der Verlängerung einige Spieler hatten, die extrem erschöpft waren; Carragher hatte immer wieder Krämpfe, Stevie ebenfalls. Wir wollten uns irgendwie ins Elfmeterschießen retten.

Elfmeterschießen

Jerzy Dudek pariert einen Elfmeter von  Andriy Shevchenko
Jerzy Dudek pariert einen Elfmeter von Andriy ShevchenkoAFP via Getty Images

Ich dachte mir vor dem Elfmeterschießen: "Wenn wir sie jetzt nicht schlagen, wann dann?" Meine Aufgabe [den ersten Elfmeter Liverpools zu schießen] wurde dadurch etwas erleichtert, dass Serginho seinen ersten verschossen hatte. Gleichzeitig wusste ich aber auch, dass ich eine große Chance hatte, uns erstmals an diesem Abend in Führung zu bringen, deshalb war dies ein ganz wichtiger Moment. Ich wusste genau, wo ich hinschießen wollte und dachte mir noch, "wenn [Dida] sich nicht zu früh bewegt, was einige Keeper tun, bleibe ich bei meiner Ecke". Und es hätte nicht perfekter laufen können, der Ball landete genau da, wo ich ihn hinhaben wollte, [...] es war eine ungeheure Erleichterung, als ich sah, wie er reinging.

Jerzy Dudek war Liverpools Held im Elfmeterschießen
Jerzy Dudek war Liverpools Held im ElfmeterschießenGetty Images

Die Feier

Steven Gerrard und Rafael Benítez mit dem Henkelpott
Steven Gerrard und Rafael Benítez mit dem HenkelpottGetty Images

Als wir die Umkleidekabine 90, 100 Minuten zuvor verlassen haben, waren wir eigentlich schon geschlagen. Als wir jetzt nach dieser zweiten Hälfte, der Verlängerung, dem Elfmeterschießen, der Pokalübergabe und der Feier mit den Fans zurückkamen, gab es keine Tänze oder Gesänge. Durch den Zeitunterschied in der Türkei war es unserer Zeit nach schon weit nach Mitternacht. Es war alles ein wenig surreal, weil es keine großen Feierlichkeiten in der Kabine gab, es herrschte eher eine Art von Ungläubigkeit.

Der Empfang in Liverpool

Liverpool stand Kopf
Liverpool stand KopfGetty Images

Es waren hunderttausende von Menschen in den Straßen, die auf uns warteten. Wir fuhren dann in einem offenen Bus ins Stadtzentrum. Das dauerte vier oder fünf Stunden, weil die Straßen komplett zu waren, es waren am Ende wohl gut eine Million Menschen auf den Beinen. Wegen solcher Momente spielt man Fußball, so viele glückliche Menschen zu sehen und nach 21 Jahren wieder den Pokal zu holen, war einfach unbeschreiblich.

Wenn du Fünfjährige und 90-Jährige siehst, die Tränen in den Augen haben, sind das Momente, die du nie vergessen wirst. Das war wohl der ergreifendste und denkwürdigste Moment dieser Tage von Istanbul und der Tage danach. Das hat es zu etwas ganz Besonderem gemacht. Es ist ein besonderer Klub und es ist eine besondere Stadt.

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