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"Bin meiner Philosophie treu geblieben" - Zinédine Zidane

In einem exklusiven Interview für den technischen Bericht zur UEFA Champions League 2017/18 spricht Zinédine Zidane über das Geheimnis seines Erfolgs.

Nach seinem dritten aufeinanderfolgenden Triumph in der UEFA Champions League trat Zinédine Zidane als Trainer von Real Madrid zurück
Nach seinem dritten aufeinanderfolgenden Triumph in der UEFA Champions League trat Zinédine Zidane als Trainer von Real Madrid zurück ©Getty Images

Auf den Straßen Madrids wurde noch immer gefeiert, als Zinédine Zidane in seiner typisch eleganten und gelassenen Art bekanntgab, dass die „Zeit für eine andere Stimme in der Kabine“ gekommen sei. Auf dem Höhepunkt abtreten – selten wurde diese Devise klarer verinnerlicht. Noch nie zuvor war es einem Trainer gelungen, die Königsklasse dreimal in Folge zu gewinnen, auch nicht in den 1950er-Jahren, als die Madrilenen in den fünf ersten Ausgaben des Wettbewerbs triumphierten.

Zinédine Zidane im Spielertunnel nach dem Endspiel gegen Liverpool im vergangenen Mai in Kiew.
Zinédine Zidane im Spielertunnel nach dem Endspiel gegen Liverpool im vergangenen Mai in Kiew.©Getty Images

Zidanes unvergleichliche Erfolgsgeschichte geht auf das Jahr 2014 zurück, als er als Assistent von Carlo Ancelotti im Estádio da Luz in Lissabon erstmals als Betreuer ein Champions-League-Endspiel erlebte. Nach seinem ersten Titel als Cheftrainer zwei Jahre später hieß es im technischen Bericht: „Der Erfolg des Debütanten ist eher seinen Führungsqualitäten als taktischen Aspekten zuzuschreiben.“ Zidane sagte damals: „Was zählt, sind gemeinsame Ziele, ein geschlossenes Auftreten und die Qualität, auf dem Platz alles zu geben.“ Wie treu er diesen Prinzipien geblieben ist, zeigt das folgende Interview. 

Auf welchen der drei Titel sind Sie am stolzesten, und weshalb?

Alle drei waren fantastisch und aus unterschiedlichen Gründen speziell. Der erste, weil es mein erster Titel als Trainer war, der zweite war symbolisch und emotional – der Gegner hieß Juventus und wir haben eine herausragende zweite Halbzeit gespielt. Und der dritte war die Krönung meiner drei Spielzeiten als Trainer von Real Madrid.

Ihr dritter Titel 2017/18 kam unter anderem dank einigen extrem abgeklärten und souveränen Auftritten auswärts gegen erstklassige Gegner zustande. Was war das Erfolgsrezept in diesen Spielen?

Ich bin der Fußballphilosophie, die ich meinen Spielern vermittelt habe, immer treu geblieben, unabhängig davon, wer unser Gegner war.

Zuhause waren Sie hingegen verwundbarer. Haben Sie eine Erklärung dafür? Sind die Auswärtsteams in der diesjährigen UEFA Champions League möglicherweise etwas mutiger aufgetreten?

In den Auswärtsspielen sind uns oft sehr gute Leistungen gelungen, weshalb bei den jeweiligen Rückspielen vielleicht die Konzentration ein wenig fehlte. Andererseits hatte ich nie das Gefühl, dass die Mannschaft in Panik geriet. Erstklassige Spieler wissen, wie man schwächere Phasen in einem Spiel wegsteckt, und können den Schalter sehr schnell wieder umlegen. Meine Aufgabe bestand darin, sicherzustellen, dass alle die Ruhe bewahren.

Was halten Sie von Tottenham, das Sie geschlagen und Ihre Gruppe gewonnen hat?

Sie haben eine gute junge Mannschaft, die ausgewogen besetzt ist und sehr engagiert auftritt. Wir konnten unser Spiel nicht aufziehen und hatten Mühe, als wir unter Druck gerieten. Letztlich hat uns diese schwache Leistung jedoch stärker gemacht, denn wir haben als Team unsere Lehren daraus gezogen.

Und was ist mit Juventus – die einzige andere Mannschaft, die Sie bezwingen konnte?

Ganz klar, da waren wir gedanklich bereits in der nächsten Runde. Das ist das Schöne am Fußball, sogar auf höchstem Niveau. Man darf nie vergessen, dass ein Spiel erst mit dem Schlusspfiff vorbei ist, selbst wenn man einen vermeintlich komfortablen Vorsprung hat. Man darf sich keine Konzentrationsschwächen erlauben und muss sich auf die eigene Taktik besinnen.

War es schwierig, sich für das Finale auf eine Aufstellung und Taktik festzulegen? Ihre Startelf war dieselbe wie in Cardiff, doch die Formation schien eine andere zu sein. Was waren die Veränderungen gegenüber letztem Jahr?

Unsere Taktik war in der Tat anders. Wir haben ohne Raute gespielt, nicht wie in Cardiff. Ich habe Isco ins Mittelfeld zurückbeordert und vorne auf zwei Stürmer gesetzt. Außerdem sollte Marcelo vorrücken, um Räume zu besetzen. Er hatte viele offensive Freiheiten, und Sergio Ramos sicherte auf seiner Seite ab.

Die gleichen elf Spieler hatten das Finale 2017 in Cardiff begonnen, und neun dieser Spieler waren auch schon 2016 in Mailand in der Startelf. Wie wichtig ist die Erfahrung aus großen Spielen in Ihren Augen?

Sie ist sehr wichtig, keine Frage. In den großen Wettbewerben ist es immer die Erfahrung, die den Unterschied macht, da es den Spielern leichter fällt, mit dem Druck umzugehen.

Die Beobachter Ihrer Spiele haben die gute Rollenaufteilung im Zentrum zwischen Casemiro, Modrić und Kroos gelobt. Können Sie uns etwas mehr darüber sagen?

Ich habe Kroos und Modrić gesagt, sie sollen vorrücken und so die Räume für unseren Gegner eng machen. Casemiro sorgte für das defensive Gegengewicht und sicherte überall auf dem Spielfeld für sie ab. Er hatte eine Schlüsselrolle, sowohl am Boden als auch in der Luft.

Was ist für Sie ein moderner Stürmer? Benzema wird oft kritisiert, doch was hat er in Ihren Augen für die Mannschaft geleistet?

Karim war wichtig für die Balance im Angriffsspiel. Er leistete einen Beitrag zu unserem Ballbesitzspiel, indem er seine Mitspieler einsetzte. Er bietet sich immer an und ist ein echter Teamplayer.

Wie wichtig ist Ballbesitz?

Wenn man den Ball hat, muss man ihn nicht zurückerobern und ist in der Regel weniger in Gefahr. Außerdem kann man den Gegner laufen lassen und müde spielen. Im Wissen, dass meine Spieler über die nötigen Fähigkeiten verfügen, fühlte ich mich dazu verpflichtet, unser Spiel stärker auf Ballbesitz auszurichten. Nicht Ballbesitz um des Ballbesitzes willen, sondern um den Gegner anzugreifen. Gleichzeitig ist Ballbesitz aber keine Sieggarantie.

Wie stark stützen Sie sich in der Spielvorbereitung auf Analysen – des Gegners, aber auch Ihres Teams? Wie geben Sie die entsprechenden Erkenntnisse an die Spieler weiter? Und wie lange sprechen Sie über die mögliche Taktik des Gegners?

Bei Real Madrid habe ich mit meinem Trainerstab jeweils die gegnerische Mannschaft als Ganzes analysiert. Wir haben aber nicht alles an die Spieler weitergegeben, weil ich wollte, dass sie sich auf ihr eigenes Spiel konzentrieren. Unter der Woche habe ich allerdings auch Zeit mit individuellen Analysen verbracht und vor jedem Spiel kurz mit jedem Spieler gesprochen.

Liverpool hat etwas frischen Wind in den Wettbewerb gebracht. Was sind Ihrer Meinung nach die Stärken ihrer Spielweise? Welche Probleme sahen Sie vor dem Endspiel auf sich zukommen?

Sie sind eine Kontermannschaft, die viel Pressing betreibt und ihre drei Stürmer nach der Balleroberung sehr schnell in Szene setzt. Liverpool ist auch eine Mannschaft, die niemals aufgibt.

Haben Sie Marcelo und den anderen Abwehrspielern spezielle Anweisungen mit Blick auf das Liverpooler Angriffstrio gegeben, insbesondere was Mohamed Salah betrifft?

Überhaupt nicht! Wir haben immer unser Spiel durchgezogen, unabhängig vom Gegner. Allerdings haben wir die Spieler auf bestimmte Eigenschaften gegnerischer Spieler aufmerksam gemacht, damit sie wussten, was sie erwartet. Ich wollte aber nicht zu viele Informationen dieser Art weitergeben, da sich meine Spieler in erster Linie auf ihr Spiel konzentrieren sollten.

In den letzten Jahren haben viele Beobachter die Leistungen von Marcelo und Dani Carvajal gelobt und ihre Bedeutung für die Mannschaft hervorgehoben. Wie wichtig sind Außenverteidiger grundsätzlich, und wie wichtig waren diese beiden Spieler für Sie?

Sie waren ein sehr wichtiger Teil unseres Systems, da sie die Fähigkeit besitzen, etwas Unerwartetes zu tun und den Gegner zu verunsichern. Wenn der Ball auf dem Flügel war, konnte immer etwas passieren. Oft ist es uns gelungen, Mannschaften zu überwinden, indem wir den Ball in den eigenen Reihen hielten und dann von den Flügeln aus Aktionen starteten.

Mit Ronaldo und Sergio Ramos verfügten Sie an beiden Enden des Spielfelds über herausragende Spieler. Können Sie uns etwas mehr über sie erzählen – über ihre Führungsqualitäten und ihre Bedeutung für die Mitspieler – und für Sie als Trainer – auf und neben dem Platz?

Beide stecken voller Energie und gehören zu den Wortführern im Team. Sergio Ramos ist eine natürliche Führungspersönlichkeit mit einer großen Präsenz in der Kabine, und Cristiano Ronaldo ist ein Leader auf dem Rasen, der seine Mitspieler inspiriert. Sie ergänzen einander gut.

Unterscheidet sich der Trainerjob in der UEFA Champions League vom Ligabetrieb? Oder sind die Herausforderungen dieselben?

Für mich gibt es keinen Unterschied. Ich habe mich auf alle Spiele gleich sorgfältig vorbereitet. Wenn man Trainer von Real Madrid ist, muss man ohnehin alles gewinnen und auch spielerisch ein gewisses Niveau haben – das ist meine Philosophie.

Was sind die wichtigsten Lektionen, die Sie auf dem Weg zum Titelhattrick gelernt haben?

Wenn man mit talentierten und erfahrenen Spielern arbeitet, besteht die wichtigste Aufgabe darin, Ruhe auszustrahlen. Das ist das, was ich als Spieler brauchte, und deshalb verfolge ich als Trainer denselben Ansatz.

Einige spielen Golf, andere lesen. Wie entfliehen Sie dem Stress des Traineralltags?

Ich treibe Sport, und ich lese gerne. Zudem verbringe ich Zeit mit meiner Familie, das ist mir sehr wichtig.

Zum Lesen: Technischer Bericht zur UEFA Champions League 2017/18

Zum Lesen: Technischer Bericht zur UEFA Europa League 2017/18