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Nachlese zur Women's EURO

Trainerausbilder

Die Qualifikation zur FIFA-Frauen-WM 2019 ist wieder im Gang und es gilt, die Erkenntnisse von der letztjährigen UEFA Women’s EURO umzusetzen. Im UEFA-Trainermagazin The Technician wurde vor kurzem über die UEFA-Konferenz für Frauen-Nationaltrainer berichtet, bei der die EM-Endrunde 2017 in den Niederlanden aus technischer und taktischer Sicht analysiert wurde.

Die Niederländerinnen feiern den Sieg der UEFA Women’s EURO 2017.
Die Niederländerinnen feiern den Sieg der UEFA Women’s EURO 2017. ©Getty Images

Als die EM-Endrunde 2017 langsam in den Hintergrund rückte und sich der europäische Frauenfußball mit dem Gedanken anfreundete, dass der Europameister zum ersten Mal seit 22 Jahren nicht Deutschland heißt, trafen sich die Frauennationaltrainer und Experten aller UEFA-Mitgliedsverbände im November in Amsterdam, um die Endrunde vom letzten Sommer Revue passieren zu lassen und nützliche Schlüsse zu ziehen, die an die Trainer aller Stufen des sich rasant entwickelnden Frauenfußballs weitergegeben werden können.

Die technischen Beobachter der UEFA, Hesterine de Reus, Patricia González, Jarmo Matikainen und Anne Noë lieferten mit ihren Analysen zum Turnier in den Niederlanden wertvolle Erkenntnisse mit Blick auf die Zukunft. „Um in Zukunft erfolgreich zu sein, müssen wir im Angriff flexibler und variantenreicher werden“ (Martin Sjögren). „Die Teams in Ballbesitz fanden kein Rezept gegen die tief stehenden Abwehrreihen“ (Freyr Alexandersson). „Alle Teams können im Strafraum gut verteidigen, wir brauchen deshalb andere Lösungen – unterschiedliche Hereingaben, Laufwege in den Strafraum, Überzahlsituationen durch Hinterlaufen…“ (Pia Sundhage).

Diese Aussagen der Trainer Norwegens, Islands und Schwedens widerspiegeln eines der Hauptgesprächsthemen der Endrunde, die niedrige Torquote. Bis zum Finale wurde ein Schnitt von 2,07 Toren pro Partie verzeichnet – ein kümmerliches Allzeittief. Durch das packende Endspiel mit sechs Toren stieg die Quote zwar noch auf 2,19 an, doch ändert dies nichts daran, dass bei der ersten Frauen-EM-Endrunde mit 16 Teams die Abwehrreihen über die Offensivabteilungen triumphierten. Österreich – einer von fünf Neulingen – ließ auf dem Weg zum historischen Halbfinaleinzug in 510 Minuten einen einzigen Gegentreffer zu. Die Torquote fiel bei der EURO 2017 um 28 % geringer aus als bei der WM 2015.

Stürmerinnen hatten es oft schwer, die Verteidigung zu durchbrechen, wie hier im Spiel zwischen Österreich und der Schweiz.
Stürmerinnen hatten es oft schwer, die Verteidigung zu durchbrechen, wie hier im Spiel zwischen Österreich und der Schweiz.©Sportsfile

Zahlen lügen nicht, können die Wahrheit aber verzerren. So stellte sich die Frage, ob die Torflaute einer guten Abwehrarbeit oder einem schlechtem Angriffsspiel geschuldet war. Oder beidem. Jarmo Matikainen vertrat die erste These und merkte an, dass bei allen Aspekten der Verteidigungsarbeit ständig Fortschritte erzielt worden seien, und dass die Teams, wenn sie ihre Abwehrformation einmal eingenommen hätten, nur sehr schwierig zu überwinden gewesen seien. Ein gutes Beispiel dafür war die ÖFB-Auswahl: Das Team von Dominik Thalhammer schaltete schnell auf Defensive um und eine der defensiven Mittelfeldspielerinnen – Sara Puntigam – rückte jeweils rasch in die Lücke zwischen Innen- und Linksverteidigerin, um eine Fünferabwehrkette zu bilden.    

Verbesserte Abwehrarbeit 
Wie dicht die Abwehrreihen standen, zeigt auch die Tatsache, dass die Torabschlüsse gegenüber der Ausgabe 2013 zwar um 18,5 % zunahmen, die Torquote jedoch sank – darüber hinaus wurden 24 % aller Schüsse geblockt. Laut Jarmo Matikainen hat die bessere körperliche Vorbereitung zum effizienten Abwehrverhalten beigetragen: „Alle Teams haben in die physische Vorbereitung investiert und waren über die gesamte Dauer dieses intensiven Turniers in der Lage, gut zu verteidigen.“ Ein übliches Indiz für Müdigkeit sind viele späte Tore – ein solcher Trend war bei der EURO 2017 indes nicht auszumachen; vielmehr fielen 55 % aller Treffer vor der Pause.

Die verbesserte Fitness machte sich für Matikainen auch in taktischer Hinsicht bemerkbar: Die Teams hätten es besser verstanden, auf Ballverluste schnell zu reagieren, und hätten wann immer möglich sofortiges Pressing betrieben, um den Ball zurückzuerobern. Für die verbesserte Abwehrarbeit spricht zudem die Tatsache, dass 23 der 26 Spiele mit einem Sieger von derjenigen Mannschaft gewonnen wurden, die das 1:0 erzielte, und dass der Führungstreffer bei der Hälfte dieser Spiele in der ersten halben Stunde fiel – obwohl der Gegner also noch viel Zeit zum Reagieren hatte, verstanden es die EM-Teilnehmer bestens, ihren Vorsprung zu verteidigen oder gar auszubauen. Daher rührte die Skepsis der Trainer und Beobachter hinsichtlich der Frage, ob das Angriffsspiel mit der verbesserten Abwehrarbeit Schritt gehalten habe. Der spanische Coach Jorge Vilda sagte dazu: „Das Problem ist, wenn du einen Gegner hast, der hinten alles zustellt und das Tempo die ganzen 90 Minuten mitgehen kann, dann musst du Lösungen für die fehlenden Freiräume im Angriff finden. Das ist schwierig, aber ich bin sicher, dass es möglich ist.“

Die Engländerin Jodie Taylor war Torschützenkönigin bei der Women’s EURO.
Die Engländerin Jodie Taylor war Torschützenkönigin bei der Women’s EURO.©Getty Images

Patricia González nahm diesen Punkt bei ihrer Präsentation über das Angriffsspiel auf. Von den 16 Mannschaften waren Spanien, Deutschland und Frankreich die einzigen, die in jedem Spiel einen Ballbesitzanteil von über 50 % aufwiesen. Alle drei scheiterten im Viertelfinale, und bei acht von insgesamt 26 Partien mit einem Sieger setzte sich die Mannschaft mit weniger Ballbesitz durch. Dieselben drei Teams führten die Statistik auch in den Kategorien Pässe pro Spiel und Pässe pro Ballbesitzphase (Spanien 3,6, Deutschland 3,5, Frankreich 2,7) an, während Teams wie England (1,7) und Österreich (1,2) mit viel niedrigeren Werten auskamen. „Ich hatte den Eindruck, dass die Ballbesitzteams zu wenige Rhythmuswechsel in ihr Angriffsspiel einbauten“, sagte Hesterine der Reus. „Mannschaften wie England hingegen waren in der Lage, mit schnellen, schnörkellosen Spielzügen für große Gefahr zu sorgen.“ Die drei erwähnten Teams erzielten in ihren zwölf Partien zehn Tore – sieben davon aus ruhenden Bällen, d.h. sie brachten in 1 100 Minuten Fußball gerade einmal drei Treffer aus dem Spiel heraus zustande. Dies war auch der mangelnden Effizienz im Abschluss geschuldet: Während England und die Niederlande 5,17 bzw. 5,77 Abschlüsse pro Torerfolg brauchten, brauchten Deutschland (17,6), Frankreich (21,7) und Spanien (36,5) wesentlich mehr Versuche. 

Der direkte Weg zum Tor 
Für das direkte Angriffsspiel spricht auch die Tatsache, dass 24 % der Tore aus dem Spiel heraus aus Kontern entstanden, bei denen sich die gegnerische Abwehr nicht rechtzeitig formieren konnte. Die Niederlande erzielten mehrere wichtige Tore nach mustergültigen Gegenstößen, und auch die Österreicherinnen verfolgten eine klare Kontertaktik, wie dem technischen Bericht zu entnehmen ist: „Die Strategie bestand darin, den Ball so direkt wie möglich in die Angriffszone zu spielen und dort auf die intelligenten Laufwege und die Ballsicherheit Nina Burgers zu vertrauen. Beim Kampf um die zweiten Bälle wurde Burger von schnell aufrückenden Mitspielerinnen unterstützt – eine wichtige Rolle in diesem Umschaltspiel spielte Laura Feiersinger auf der rechten Seite.“ Der dänische Coach Nils Nielsen erklärte beim Podiumsgespräch in Amsterdam, dass Feiersinger seiner Meinung nach der Typ Spielerin der Zukunft sei: „Sie ist unberechenbar, aber alles, was sie tat, war ein Beitrag zum mannschaftlichen Kollektiv.“ Dementsprechend machen sich Trainer Gedanken über die Bedeutung solcher auf das Umschaltspiel „spezialisierter“ Spielerinnen. Islands Freyr Alexandersson meinte selbstkritisch: „In den Umschaltmomenten sind wir unter unseren Möglichkeiten geblieben. Wir hätten den Ball manchmal zur Umschaltstation spielen müssen, statt ihn wegzuschlagen.“

Die dänische Stürmerin Nadia Nadim erntete viel Lob für ihre Angriffsstärke.
Die dänische Stürmerin Nadia Nadim erntete viel Lob für ihre Angriffsstärke.©Sportsfile

Hesterine de Reus sprach bei ihrer Präsentation zum Thema Entwicklung der Spielerinnen über die fehlende Bereitschaft, in der Angriffszone das 1-gegen-1 zu suchen: „Kann es sein, dass die Trainer die Fähigkeiten ihrer Spielerinnen im 1-gegen-1 unterschätzen und ihre Taktik nicht danach ausrichten, sprich die Spielerinnen nicht dazu ermutigen oder sie gar davon abhalten?“ Patricia González merkte dazu an: „Mir fehlte der Mut, in der Angriffszone das 1-gegen-1 zu suchen. Spielerinnen wie Nadia Nadim, Lieke Martens und Pernille Harder taten sich hervor, weil sie auf diese Weise Überzahlsituationen kreieren konnten.“ Jarmo Matikainen fügte hinzu: „Das Abwehrverhalten im 1-gegen-1 war ausgezeichnet, nicht aber das Offensivverhalten. Möglicherweise fehlte es an der nötigen Improvisation.“ 

Die Niederländerin Lieke Martens war Spielerin des Turniers.
Die Niederländerin Lieke Martens war Spielerin des Turniers.©Getty Images

Die Forderung nach mehr Mut im Angriffsspiel stieß bei den Trainern auf dem Podium auf offene Ohren. „Das unterstütze ich voll“, so Nils Nielsen. „Mit Vorsicht gewinnt man nichts, man muss alles versuchen. Das war auch unsere Devise für das Finale. Das Spiel war sicherlich interessanter, als wenn wir uns alle hinten reingestellt hätten. Vermutlich hätten wir auch dann verloren.“ Die Trainerin der Schweiz, Martina Voss-Tecklenburg, fügte hinzu: „Ich fordere meine Spielerinnen ständig auf, das 1-gegen-1 zu suchen. Es ist wichtig, dass sie den Mut dazu haben. Als Trainer sollten wir sie noch stärker dazu anspornen.“ 

Trotz aller defensiven Qualitäten fand der Ball bei der Women’s EURO 2017 den Weg ins Netz – fast ein Drittel der aus dem Spiel heraus erzielten Treffer wurden laut Patricia González nach Spielzügen über die Flügel erzielt. Die Mannschaften wussten, wie schwierig es ist, in der Mitte durchzukommen, und wichen daher auf die Seiten aus. Allerdings warf die Flankenstatistik einige Fragen auf. In absoluten Zahlen spielten die drei ballbesitzorientierten Teams Deutschland, Spanien und Frankreich die meisten Flanken, wobei Spanien die höchste „Erfolgsrate“ aufwies (59 % kamen bei einer Mitspielerin an). Die Niederlande andererseits belegten in dieser Statistik nur einen Mittelfeldplatz, erzielten aber vier ihrer neun Tore aus dem Spiel heraus über die Seite.

Dies lag insbesondere daran, dass es ihnen gelang, in den Rücken der Außenverteidigerinnen zu kommen (meist durch Steilzuspiele in den freien Raum auf die schnelle rechte Flügelspielerin Shanice van de Sanden), was die gegnerischen Torhüterinnen und zurückeilenden Verteidigerinnen vor Probleme stellte.

Wesentlich leichter fiel ihnen das Verteidigen bei Standardsituationen. Zwar entstand fast ein Drittel sämtlicher Tore aus ruhenden Bällen, doch 37 % davon waren Strafstöße. Am meisten zu reden gab indes die Tatsache, dass nur vier von 303 Eckbällen zum Torerfolg führten – zwei davon am ersten Spieltag, als sich die Mannschaften noch weniger gut kannten. Für die Trainer stellt sich die Frage, ob es sich angesichts einer Erfolgsrate von 1:76 (1:29 bei der Endrunde 2013) überhaupt noch lohnt, auf dem Trainingsplatz Zeit in das Üben von Standards zu investieren. Nils Nielsen argumentierte aus der Perspektive der Abwehr: „Ein Spiel wegen eines schlechten Abwehrverhaltens bei einer Ecke zu verlieren, wäre sehr ärgerlich.“ Martina Voss-Tecklenburg merkte diesbezüglich an: „Bei eigenen Eckbällen gibt es sehr wenig Spielraum für Kreativität. Es gibt nur wenige Optionen und das Üben ruhender Bälle im Training macht keinen großen Spaß. Mehr Möglichkeiten gibt es durch Freistöße; diese können nützlich sein, wenn man eine Spezialistin für die Ausführung hat.“ Schottlands Anna Signeul (mittlerweile Trainerin der finnischen Nationalelf) stimmte zu: „Die Qualität der Ausführung ist alles. Deshalb haben wir einen Experten geholt, der mit den Spielerinnen an der Schusstechnik feilt.“ Eine etwas andere Einstellung hatte Dominik Thalhammer: „Ruhende Bälle sind ein wichtiger Teil des Spiels und deshalb haben wir uns im Vorfeld der EM ziemlich stark darauf konzentriert. Das gilt aber nicht nur für die Eckbälle. Ein Tor haben wir auch nach einem Einwurf erzielt…“

Torhüterinnen im Fokus 
Für das vielleicht heikelste Diskussionsthema – die Torwartleistungen – war die ehemalige belgische Nationalkeeperin und –trainerin Anne Noé zuständig. Im technischen Bericht heißt es dazu: „Eine ehrliche Analyse der Women’s EURO 2017 darf die Leistungen der Torfrauen jedoch nicht ausblenden. Ohne die Torwartfehler wäre die rekordtiefe Torquote noch niedriger ausgefallen. Viele Torwarttrainer dürften angesichts der zahlreichen gravierenden – und oft spielentscheidenden – Fehlgriffe schlaflose Nächte verbracht haben. Falsch eingeschätzte oder nicht festgehaltene Flanken, ins eigene Netz gefaustete Schüsse, fragwürdiges Stellungsspiel und zweifelhafte Mauerplatzierung bei Freistößen, Pässe direkt in die Füße der gegnerischen Stürmerin… Allerdings war bezüglich Torwartleistungen bei weitem nicht alles Schatten, sondern auch viel Licht: So sind zahlreiche erstklassige Rettungsaktionen ebenfalls zu erwähnen.“

An diesen Kontrast knüpfte Anne Noé in Amsterdam an, indem sie zunächst die positiven Aspekte betonte. In den 31 Partien hätten die Torfrauen 23 Mal zu null gespielt, sie seien athletischer geworden, sie hätten sich nur zweimal durch Weitschüsse bezwingen lassen (ein bis dato ein viel versprechendes Erfolgsrezept im Frauenfußball) und sie hätten Fehler dank guter mentaler Vorbereitung schnell weggesteckt. Noé wies aber auch darauf hin, dass die Torhüterinnen den Ball zu oft unbedrängt abprallen ließen oder wegfausteten, statt ihn zu fangen – dadurch sei er länger im Spiel geblieben, was wiederum zu chaotischen Szenen im Strafraum geführt habe.

Die folgende Statistik dürfte die Torwarttrainer besonders interessiert haben: 34 % der Treffer wurden vom Bereich zwischen Elfmeterpunkt und Torraum erzielt, 29 % von innerhalb des Torraums. Die Botschaft war klar: Auf dem Trainingsplatz muss der Fokus weiterhin auf das Abwehren von Schüssen aus kurzer Distanz gelegt werden.

Insgesamt sorgten die Torwartleistungen 2017 für eine gewisse Ratlosigkeit, nachdem sie bei der Endrunde 2013 noch als herausragend bewertet worden waren. „Haben die Torfrauen nicht dieselben Fortschritte erzielt wie die Feldspielerinnen?“, fragte Anne Noé in die Runde. „Oder haben sie einfach nur einen schlechten Monat erwischt?“ Für die zweite These spricht die Endrunde der U19-Frauen-EM in Nordirland, die nur zwei Tage nach dem niederländischen Triumph in Enschede begann und bei der die technischen Beobachter der UEFA drei Torhüterinnen ins All-Star-Team wählten. Die englische U19-Trainerin „Mo“ Marley schwärmte davon, zwei ausgezeichnete Schlussfrauen im Kader zu haben, und auch die Keeperinnen Schottlands und Nordirlands ernteten unabhängig von den Ergebnissen ihrer Teams viel Lob. Anja Palusevic, eine der Beobachterinnen, zog folgendes Fazit: „Wir sehen hier die Ergebnisse eines guten Coachings und das ist ein gutes Omen für die Zukunft.“

Die Dänin Pernille Harder im Zweikampf gegen die Niederländerin Desiree van Lunteren.
Die Dänin Pernille Harder im Zweikampf gegen die Niederländerin Desiree van Lunteren.©UEFA

Die zeitliche Nähe der beiden Turniere bot den Trainern in Amsterdam die Gelegenheit, zwei weitere Herausforderungen anzusprechen: den Übergang von der U19- zur A-Stufe und die Vorbereitung der Spielerinnen auf den Druck eines großen Turniers vor einer gewaltigen Zuschauerkulisse.   

Was den Übergang von den Juniorinnen zur A-Stufe anbelangt, haben die Nationalverbände die unterschiedlichsten Lösungen auf Lager, doch mit der Aussage von Martina Voss-Tecklenburg dürften die meisten ihrer Kollegen einverstanden sein: „Die größte Herausforderung in dieser Übergangsphase besteht darin, den Sprung in Sachen Athletik, Reaktionszeit und Spielintensität zu schaffen.“

Was die Athletik betrifft, gaben die meisten EM-Trainer an, viel Aufwand betrieben zu haben, um ihre Spielerinnen physisch auf die internationale Bühne vorzubereiten, wo ein anderer Wind weht als in den nationalen Wettbewerben. Gleichzeitig räumten sie ein, dass schwere Verletzungen im Nachwuchsbereich ein Alarmsignal seien. DFB-Trainerin Steffi Jones sagte dazu: „Als Trainer müssen wir die richtige Balance finden – wir müssen die Gesundheit der Spielerinnen im Auge behalten und dürfen nicht nur auf unsere Ergebnisse achten.“

Im Kopf muss es stimmen 
Einigkeit herrschte in Bezug auf die Bedeutung der mentalen Vorbereitung. Nils Nielsen erzählte zum Beispiel, wie nervös seine Schützlinge vor der Auftaktpartie gegen Belgien gewesen seien, und dass ihnen die Außenseiterrolle jeweils besser behagt habe. „Wir wussten, dass es ein hartes Turnier wird und wir den Spielerinnen klarmachen müssen, dass wir nicht aufgeben und zu weinen beginnen, wenn etwas schiefläuft. Wenn du mit dem Kopf nicht bei der Sache bist, ist es sehr schwierig, erfolgreich zu sein.“ Anna Signeul schilderte, wie sehr die mentale Vorbereitung ihren Schottinnen geholfen habe, nach den Niederlagen gegen England und Portugal eine Reaktion zu zeigen. Dominik Thalhammer wies auf die Bedeutung der Mentaltrainerin hin, die seit 2011 mit den ÖFB-Frauen arbeitet und ein festes Mitglied des Betreuerstabs ist. Der spanische Coach Jorge Vilda merkte seinerseits an: „Durch seine wachsende Popularität nähert sich der Frauenfußball dem Männerfußball an. Was den Umgang mit Druck angeht, sind uns die Männer aber noch weit voraus. Wir müssen unsere Spielerinnen auf den Umgang mit Medien, Sponsoren usw. vorbereiten – auf alle Aspekte, die der Spitzensport mit sich bringt.“

Vergleiche mit dem Männerfußball waren in Amsterdam ebenfalls ein Thema. Martina Voss-Tecklenburg wies etwa darauf hin, dass der Frauenfußball nicht separat behandelt werden, sondern im Gesamtgefüge eingebettet sein sollte. „In der Schweiz setzen wir auf die Zusammenarbeit und Ideen von allen Akteuren, einschließlich der Klubtrainer.“ Dominik Thalhammer erzählte von regelmäßigen Treffen mit den Betreuern der Männerauswahl und den nützlichen Tipps, die er im Vorfeld des Turniers erhalten habe.

Blick in die Zukunft 
All dies veranlasste Richard Barnwell, den Trainer der estnischen U19-Junioren, zur Frage, was denn die wichtigsten Aspekte in der Nachwuchsförderung seien. „Die Spielerinnen sollen ballsicher werden, Spaß am Spiel haben, verstehen, dass man nicht jedes Spiel gewinnen kann, und sich an realistischen Zielsetzungen orientieren“, antwortete Nils Nielsen. Martina Voss-Tecklenburg fügte hinzu: „Wenn man keine große Auswahl an Spielerinnen hat, muss man seine Taktik nach den Stärken der einzelnen Spielerinnen richten.“ „Der Verband muss eine Vision und einen Traum haben, den man verfolgen kann“, sagte Dominik Thalhammer. „Nach Niederlagen sollte man nicht das nackte Ergebnis betrachten, sondern sich fragen, wie es zustande gekommen ist und ob man die gesetzten Ziele erreicht hat.“ „Es braucht einen langfristigen Entwicklungsplan“, warf Anna Signeul ein, „der alle Wettbewerbsstufen abdeckt. Und man muss seine Vision mit den Klubs teilen.“

Die niederländische Trainerin Sarina Wiegman mit der Vorsitzenden der UEFA-Kommission für Frauenfußball, Anne Rei
Die niederländische Trainerin Sarina Wiegman mit der Vorsitzenden der UEFA-Kommission für Frauenfußball, Anne Rei©Sportsfile

Der aufmerksame Leser dürfte sich an dieser Stelle fragen, weshalb Sarina Wiegman in diesem Artikel noch kein einziges Mal erwähnt wurde. Die Europameistertrainerin begeisterte ihre Kollegen in Amsterdam mit einem erfrischend offenen Vortrag über die minuziöse Vorbereitung der Niederlande auf dem Weg zum Europameistertitel, worauf ihr der geschäftsführende Direktor Technische Entwicklung der UEFA, Ioan Lupescu, und Anne Rei, Vorsitzende der UEFA-Kommission für Frauenfußball, auf der Bühne unter stehenden Ovationen eine spezielle Erinnerungsplakette überreichten. An dieser Stelle wurde Wiegmann nur wegen des ausführlichen Interviews mit ihr in der vorletzten Ausgabe nicht erwähnt. Das letzte Wort gehört aber ihr: „Am Anfang stand ein Traum. Dann mussten Aufgaben und Zuständigkeiten unter den Spielerinnen und im Team hinter dem Team verteilt werden. Dann haben wir uns auf Engagement und Zusammengehörigkeit konzentriert. Wir bereiteten uns auf jedes mögliche Szenario auf und neben dem Spielfeld vor, um für unvorhergesehene Situationen gewappnet zu sein. Und wir verfolgten das Ziel, die Herzen unserer Landsleute zu gewinnen.“ An den Niederlanden dürfen sich andere Nationalverbände mit Titelambitionen ein Vorbild nehmen. 

Dieser Artikel stammt ursprünglich aus UEFA Direct Nr. 174