Jürgen Klopp lässt tief blicken
Montag, 16. März 2015
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In einem Exklusivgespräch mit UEFA.com hat Borussia Dortmunds Trainer Jürgen Klopp hochinteressante Einblicke in seine Gedanken der letzten Monate gewährt und erklärt, was er an Marco Reus so außergewöhnlich findet.
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In dieser Saison stellt die UEFA Champions League für Borussia Dortmund eine willkommene Abwechslung für die eher enttäuschende Bundesligasaison dar. Im Februar zum Rückrundenstart lag der BVB noch an letzter Stelle und auch wenn es seither einen deutlichen Aufwärtstrend gab, scheint eine erneute Teilnahme an der UEFA Champions League derzeit in weiter Ferne. Besser sieht es in der Königsklasse aus, wo Dortmund nach dem 1:2 bei Juventus gute Chancen hat, das Viertelfinale zu erreichen.
Vor dem Rückspiel am Mittwoch in Dortmund hat UEFA.com mit Trainer Jürgen Klopp unterhalten, der seit 2008 auf der BVB-Bank sitzt.
UEFA.com: 'Spiel, Spaß und Spannung', so haben Sie mal den Stil Ihres Teams beschrieben. Können wir damit auch am Mittwoch gegen Juventus rechnen?
Jürgen Klopp: Sicherheit gibt es da keine, aber Wahrscheinlichkeit. Wenn es für uns gut läuft, bleibt es lange spannend, dass wir sie von Anfang an wegschießen, ist nicht sehr wahrscheinlich, weil Juve eine Ergebnismaschine ist. Sie werden wie zuhause auf Ergebnis spielen, für das Spektakel müssen wir sorgen, aber es ist nicht die Nummer 1 auf unserer Prioritätenliste.
UEFA.com: Dortmund hat 11 seiner letzten 14 Heimspiele in der UEFA Champions League gewonnen, warum ist der BVB im eigenen Stadion so heimstark?
Klopp: Dieses Stadion ist außergewöhnlich, sicher mit das coolste an diesem Verein. Ich bin ja jetzt schon eine Weile da, bekomme aber noch jedes Mal beim Einlaufen eine Gänsehaut. Eine besondere Veranstaltung braucht einen besonderen Ort, um wirklich besonders zu werden und das ist unser Stadion ganz bestimmt. Hoffentlich auch am Mittwoch...
UEFA.com: Was ist die große Stärke Ihres Gegners am Mittwoch?
Klopp: Sie haben ein Selbstbewusstsein, das ist Wahnsinn. Sie haben in den letzten Jahren nahezu alles gewonnen, nur in der Champions League nicht. Aber national alles und das hilft natürlich. Du bist immer überzeugt, deine Aufgabe noch regeln zu können. Das ist die vielleicht erfahrenste Mannschaft im Wettbewerb und den Italienern liegt es sowieso im Blut auf Ergebnis zu spielen, das macht sie zu einem sehr unangenehmen Gegner. Aber es ist Fußball und das gibt mir Hoffnung, dass noch ein bisschen was für uns drin ist.
UEFA.com: Als der BVB in der ersten Saisonhälfte in Abstiegsgefahr schwebte, haben Sie da an sich und Ihrem Konzept gezweifelt?
Klopp: Na ja, sich zu hinterfragen gehört natürlich dazu, allerdings nicht unsere Art Fußball zu spielen. Es ist nicht so dogmatisch, wie es rüberkommt: die Spieler sollen ja nicht dem Gegner den Ball geben, damit wir ihn zurückerobern können, das ist doch völliger Quatsch. Wir hatten eine ganz problematische Vorrunde, die vor allem mit der körperlichen Verfassung der Spieler zusammenhing, daran konnten wir nicht viel drehen. Weil es so viele Spiele gab, hatten wir zu wenig Zeit für Regeneration und Rehabilitation, die meisten Spieler waren ja verletzt. Aber es gab ja auch gute Spiele in der Vorrunde, vor allem in der Champions League, wo wir enge Spiele gewinnen konnten, das hat Selbstvertrauen gegeben. Wir sind kein heuriger Hase mehr, der mit ganz großen Augen dasteht und zittrig nicht seine Optimal-Leistung abrufen kann.
UEFA.com: Wie haben Sie sich in Ihrer Zeit in Dortmund verändert?
Klopp: Optisch habe ich mich leider dramatisch verändert, aber das gehört zum Leben dazu. Ich habe natürlich viel Erfahrung gesammelt, aber die ganz große Veränderung hat bei mir nicht stattgefunden. Ich habe mittlerweile noch ein paar tausend Spiele mehr gesehen, das hat mich sicher jetzt auch nicht zu einem schlechteren Trainer werden lassen. Wir sind als Trainerteam besser geworden, aber das ist ja auch dringend notwendig.
UEFA.com: Wie wichtig ist Marco Reus für Ihr Team und Ihr System?
Klopp: Für die Mannschaft war er schon immer enorm wichtig, es ist schon verrückt, an wie vielen Toren er beteiligt war. Seine Entscheidung, bei uns zu bleiben, war die erwachsenste Entscheidung seines Lebens, er hat sich entschlossen, diesen schweren Weg mit uns zu gehen und das ist in diesem Alter außergewöhnlich. Er ist der erste, der gesagt hat, 'ich glaube, dass man mit dieser Mannschaft noch Titel gewinnen kann'. Er ist nicht nur ein super Spieler, sondern auch ein geiler Typ.
UEFA.com: Kann der BVB in diesem Jahr den Titel in der UEFA Champions League holen? Vor zwei Jahren haben Sie auf eine entsprechende Frage laut gelacht, kurz darauf standen Sie gegen die Bayern im Finale.
Klopp: Fakt ist, dass wir gelernt haben, dass viele Dinge möglich sind, aber zweimal ins Finale der Champions League zu kommen, ist wahnsinnig schwer. Grundsätzlich gehören wir nicht zu den Vereinen, bei denen das wahnsinnig wahrscheinlich ist, aber wir gehören zu den Vereinen, die an einem guten Tag jeden Gegner schlagen können. Aber das ist jetzt ein wenig zu weit nach vorne geblickt, zwischen heute und dem Finale liegen die härtesten Brocken im Weltfußball.
UEFA.com: Welche Trainer haben Sie im Laufe Ihrer Karriere am meisten beeinflusst?
Klopp: Ganz einfach: Walter Baur, mein Jugendtrainer vom [Siebtligisten] TuS Ergenzingen und dann natürlich Wolfgang Frank, der Großartiges [mit Klopp als Spieler] beim 1. FSV Mainz 05 geleistet hat. Dann könnte man vielleicht noch meinen Vater nennen, der es geschafft hat, mir ein vernünftiges Kopfballspiel beizubringen und auch ein bisschen meinen Ehrgeiz geschärft hat. Er hat sich die wenige Zeit, die er hatte, genommen, um mit seinem Sohn Sport zu treiben und das kann man gar nicht hoch genug bewerten.